Feministische Außenpolitik: Kein Abriss ohne Gutachten

Kaum hatte die feministische Außenpolitik 2023 das Startfeld passiert, zieht das Auswärtige Amt nun die Ereigniskarte: “Zurück auf Los und ab nun Fokus auf die großen Konflikte” — so die Botschaft des neuen CDU-Außenministers, Johann Wadephul. Doch statt “Zurück auf Los” braucht es zunächst einmal eine kritische Bestandsaufnahme. Denn die halbherzige Einführung der feministischen Außenpolitik hat doppelt Vertrauen gekostet: Feministische Partner*innen vermissten echte Kurskorrekturen, etwa zu Gaza oder Migration. Für konservative Gegner*innen und all jene, die vom Mehrwert der feministischen Außenpolitik ohnehin nicht überzeugt waren, wirkte sie wie ideologische Symbolpolitik. Die Gefahr, dass auch die Bilanzierung der feministischen Außenpolitik zur Glaubenssache wird, ist real. Dies hätte jedoch auch zur Folge, dass zentrale, zukunftsleitende Fragen unbeantwortet blieben: Welche Erfolge wurden erreicht und welche Widerstände gab es? Welche positiven Veränderungen lassen sich auch ohne den polarisierenden Namen weiterführen? Und gibt es positive Nebenwirkungen der feministischen Außenpolitik, welche auch für eine CDU-geführte Bundesregierung strategisch relevant sein können? Wissenschaft und Zivilgesellschaft haben die feministische Außenpolitik zwar kritisch begleitet, eine umfassende Evaluation mit Einblick in den Maschinenraum des Auswärtigen Amtes fehlt jedoch. Sie wäre sowohl im Interesse von Feminist*innen als auch im Interesse der neuen Bundesregierung.
Eine Evaluation sollte dabei zunächst nach innen schauen. Die deutsche feministische Außenpolitik hat hehre Ziele formuliert: Das Auswärtige Amt soll diverser, gleichberechtigter und offener werden. Trotz des Anspruchs, die deutsche Gesellschaft abzubilden, bleiben queere, Schwarze Menschen sowie People of Colour, Frauen, Ostdeutsche und Menschen mit Behinderung unterrepräsentiert. Gleichzeitig nehmen Bewerbungen für den Auswärtigen Dienst konstant ab: der Fachkräftemangel ist im Ministerium angekommen. Das liegt auch daran, dass sich immer weniger Menschen vorstellen können, Teil einer verkrusteten Organisation zu sein. Anders gesagt: Das Auswärtige Amt kann es sich auch ohne eine feministische Außenpolitik schlicht nicht leisten, seine Arbeitsstrukturen nicht zu modernisieren. Denn diverse Teams sind nicht nur effektiver. Ein inklusiver und repräsentativer Auswärtiger Dienst würde auch die außenpolitische Glaubwürdigkeit Deutschlands stärken, wenn Deutschland seine jetzige Führungsrolle in der internationalen Förderung von Gleichberechtigung behalten möchte. Welche Modernisierungsmaßnahmen angestoßen und steckengeblieben sind, sollte deshalb evaluiert werden.
Dazu kommt: Andere Staaten haben ihre feministischen Außenpolitiken längst evaluiert; Deutschland sollte hier nicht zurückbleiben. Eine schwedische Studie etwa hat wichtige Erkenntnisse für die aktuelle Politik geliefert: So hat die feministische Außenpolitik den Einfluss Schwedens in der internationalen Förderung der Gleichberechtigung deutlich gestärkt. Nachdem Schweden ihre feministische Außenpolitik 2022 zurückgezogen hatte, übernahm Deutschland die schwedische Führungsrolle und damit auch deren Einfluss und Verantwortung, gerade im Kontext der Vereinten Nationen. Nun stellt sich die Frage: Verlieren wir diese Führungsrolle wieder? Eine Evaluation der deutschen feministischen Außenpolitik könnte darauf eine Antwort geben – und grundsätzlicher untersuchen, welche positiven Auswirkungen die feministische Außenpolitik für Deutschland hatte.
Zu den unerwarteten Nebenwirkungen gehören zudem auch vertiefte Beziehungen zu Ländern, die traditionell nicht im Fokus der deutschen Außenpolitik stehen. Dazu zählen etwa die Mongolei, Kolumbien oder Panama. Dies hat zu konkreten Erfolgen geführt: So akzeptierte die Mongolei erstmals einen Satz zum „Krieg gegen die Ukraine“ in der Ulaanbaatar Deklaration, nachdem sich das Land vorher bei den Abstimmungen zum russischen Angriffskrieg in der Generalversammlung der Vereinten Nationen stets enthalten hatte. Zumindest rhetorisch scheinen auch Kolumbien und Panama an Bedeutung als Partner für Klimaschutz und grüne Energie gewonnen zu haben – die Tragweite dieser Veränderungen bleibt jedoch offen.
Neben den positiven Nebenwirkungen sollten auch die Schwierigkeiten und Widerstände der feministischen Außenpolitik evaluiert werden. Die bereits erwähnte Studie zeigt, dass die schwedische feministische Außenpolitik zu größeren Spannungen mit konservativen Gruppen sowohl im Land als auch weltweit geführt hat. Auch in Deutschland haben sich diese Spannungen beobachten lassen. Hat dies die Umsetzung der feministischen Außenpolitik ausgebremst? Und wie hat das Auswärtige Amt Entscheidungen bei Zielkonflikten zwischen feministischen und anderen außenpolitischen Interessen gefällt? Gab es eine klare Linie? Ob und welche Instrumente die feministische Außenpolitik entwickelte, um diese Spannungsfelder zu navigieren, sollte dringend bilanziert werden.
Denn es gilt weiterhin, insbesondere aus wissenschaftlicher Perspektive: Wadephuls Rückbesinnung auf “die großen Konflikte” verkennt, dass gerade dort vergeschlechtlichte Machtverhältnisse essentieller Teil der Konflikt-Logik sind. So rechtfertigt Moskau seinen Angriff auf die Ukraine als Abwehrkampf gegen das vermeintlich dekadente “Gayropa”, Trumps anti-feministische Entourage demontiert in Echtzeit die regelbasierte Weltordnung und chauvinistische Kräfte in der gesamten EU planen strategisch deren Demontage. Wer das Label der feministischen Außenpolitik abschaffen will, kann das tun – doch die analytische und politische Auseinandersetzung mit Gender-Dynamiken bleibt unverzichtbar.
In Teilen des Auswärtigen Amts wurde das Problem längst erkannt: Einzelne Referate haben ein externes Gutachten beauftragt, um Wirkung und Kosten der feministischen Außenpolitik im eigenen Zuständigkeitsbereich, nämlich in der Rüstungskontrolle, zu überprüfen. Diese Initiative ist begrüßenswert, doch sie droht auch zum Symptom eines typisch deutschen, außenpolitischen Defizits zu werden. Wenn jede Abteilung individuell bilanziert, bleibt offen, wie die Versatzstücke der feministischen Außenpolitik zusammenwirken, welche Zielkonflikte entstanden und welche Synergien ungenutzt geblieben sind. Gerade die vielbeschworene Strategiefähigkeit der deutschen Außenpolitik leidet an einer solchen Fragmentierung. Eine ganzheitliche Evaluation der deutschen feministischen Außenpolitik wäre daher mehr als interne Erfolgskontrolle: Sie wäre eine einzigartige Möglichkeit besser zu verstehen, wie ressortweite Transformationsprozesse funktionieren beziehungsweise woran diese scheitern.
Eine unabhängige und umfassende Evaluation der feministischen Außenpolitik ist dementsprechend kein ideologischer Luxus, sondern strategische Notwendigkeit. Nur sie zeigt, wo feministische Ansätze außenpolitische Akzente setzen konnten, Allianzen vertieften und das Auswärtige Amt modernisierten – und wo sie hinter ihren Ansprüchen zurückblieb. Wer diese Bilanzierung verweigert, riskiert, dass Deutschlands Außenpolitik bald wieder auf „Los“ steht, ohne aus den letzten Jahren gelernt zu haben.
Dieser Kommentar wurde ursprünglich von der taz am 26. Mai 2025 veröffentlicht.
Dr. Karoline Färber ist Postdoktorandin an der Universität Erfurt und forscht zu feministischer Außenpolitik sowie zur Wissensproduktion von außenpolitischen Akteur*innen.