Zivilmacht Europa
Militär alleine schafft keinen Frieden. So weit herrscht Konsens im politischen Berlin; auch im politischen Brüssel. Trotzdem wird politisch heftig über das Militär gestritten, und zu den nichtmilitärischen Mitteln herrscht Funkstille. Das ist fatal. Denn den komplexen Sicherheitslagen werden wir nur gerecht, wenn wir beides intelligent kombinieren.
Beispiel Haushaltsberatungen: Über den Verteidigungshaushalt wird engagiert debattiert, denn Deutschland ist weit von seinen internationalen Zusagen entfernt und die Ausrüstungsmängel der Truppe sind offensichtlich. Bei den nichtmilitärischen Mitteln der Außenpolitik hingegen sind sich alle einig – wir brauchen mehr davon. Darüber hinaus? Stille.
Warum? Panzer und Soldaten ziehen mehr Medienaufmerksamkeit auf sich als Menschen, die um einen Konferenztisch sitzen und verhandeln. Militäreinsätze sind kontroverser als die Entsendung ziviler Fachkräfte. Gewehrsalven und Detonationen sind bildgewaltiger als die langwierige Arbeit in Justiz oder Polizei. Doch vor allem fehlt es an klaren Zielen und Strategien für die nichtmilitärischen Mittel der Außenpolitik.
Die Bundeswehr definiert auf Basis der strategischen Vorgaben im sicherheitspolitischen Weißbuch klare Bedarfe. Diese fordert die Verteidigungsministerin nun ein. Alles wird sie nicht bekommen, aber sie kann zumindest die Deckungslücke und daraus entstehende Probleme deutlich machen.
Im vergangenen Jahr verabschiedete die Bundesregierung auch ein Grundsatzdokument für die zivilen Instrumente; die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“. Darin wird angekündigt, zivile und politische Mittel zu stärken. Hier aber hörte die strategische Vorarbeit auf. Es gibt keine Aufwuchsziele für zivile Instrumente und das notwendige Personal.
Wie viele Polizisten, Juristinnen oder Vermittler möchte die Bundesregierung in den nächsten Jahren ins Ausland entsenden? Wo ist der Zivilbeauftragte, an den sich das Personal analog zum Wehrbeauftragten wenden kann, wenn es Probleme gibt? Und was würde das alles kosten? Solange es hier keine klaren Ziele gibt, kann man auch nicht kontrovers über sie diskutieren – oder die Bundesregierung dafür zur Verantwortung ziehen, dass sie nicht erreicht werden.
Ein Blick nach Brüssel offenbart Parallelen. 25 der 28 Mitgliedsländer haben sich entschieden, militärisch enger zusammenzuarbeiten und gemeinsam zusätzliche Fähigkeiten zu entwickeln. Pesco heißt das Ganze und soll die Verteidigungsunion voranbringen. Analog dazu kündigte der damalige Außenminister Sigmar Gabriel eine „zivile Verteidigungsinitiative“ innerhalb der EU an, ein „Pesco Plus“ für das zivile Krisenengagement.
Gute Idee und bitter nötig. Denn die Krisen, in denen sich die EU engagiert, werden immer komplexer. Da geht es um Staats- und Sicherheitsaufbau in Mali, um Polizeiunterstützung in Palästina oder um den Aufbau des Justizsystems im Kosovo.
Dafür braucht es nicht nur Soldaten und Waffen, sondern auch Polizistinnen und Juristen, die beim Wiederaufbau des Sicherheitssektors und eines halbwegs brauchbaren Justizsystems helfen. Mediatoren, die Friedensabkommen unterstützen. Expertinnen und Nichtregierungsorganisationen, die Versöhnungsprojekte langfristig begleiten können. Gut ausgebildete Leute eben, schnell verfügbar, professionell vorbereitet, mit adäquater logistischer Unterstützung und ordentlicher Ausstattung.
Das weiß auch die EU und will endlich nachziehen. Einen ersten Fingerzeig gab es beim Rat der Außenminister Ende Mai. Ein dort verabschiedeter Beschluss benennt offene Baustellen und ambitionierte Ziele für nichtmilitärische Missionen. Wie man die erreichen will und bis wann?
Auch hier fehlen bisher konkrete Aufwuchsziele – und eine engagierte, ehrgeizige Ansage der Bundesregierung, wie viel ziviles Personal sie bereitstellen will, welche Trainingskapazitäten und strategische Expertise sie einbringen will, wie also ein Beitrag zu „Pesco Plus“ aussehen könnte, der auch für andere Mitgliedsstaaten Vorbildcharakter hätte.
Eine solche europäische, zivile Initiative wäre eigentlich wie gemacht für die deutsche Außenpolitik, in der sich alle einig darüber sind, wie wichtig nichtmilitärische Mittel sind und wie wichtig Europa ist. Bis November 2018 will sich die EU auf einen „zivilen Kompakt“ einigen. Ein Deutschland, das es ernst meint mit seiner Verantwortung in der Welt und mit Europa als Zivilmacht, muss hier vorlegen. Viel Zeit hat die Bundesregierung nicht mehr.
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This commentary was originally published by Frankfurter Rundschau on June 6, 2018.