Für viele ein attraktives Paket
BT: Herr Benner, was hat den globalen Siegeszug der liberalen Demokratie, an den man in den 90er Jahren glaubte, gestoppt?
Thorsten Benner: Liberale Demokratie heißt Gewaltenteilung, Rechtsstaat und Minderheitenrechte, Dauerwettstreit der Interessengruppen. All das setzt politische Eliten voraus, die solche Machtbeschränkungen akzeptieren. Diese sind weit seltener zu finden, als viele im Enthusiasmus nach dem Fall der Mauer glaubten. Machterhalt, Selbstbereicherung und Verteilung von Pfründen an die eigene Klientel sind in einem autoritären System viel besser möglich. Zu dieser Erkenntnis ist etwa der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gekommen, weshalb er jetzt seine autoritäre Herrschaft zu zementieren versucht.
BT: Und die Bürger machen das einfach mit?
Benner: Die Menschen akzeptieren liberale Demokratien dann, wenn sie dauerhaft Wohlstand und Stabilität garantieren. Gerade in den post-kommunistischen Gesellschaften waren die 90er Jahre für viele traumatisierend, weil sich Wohlstandsversprechen als illusorisch erwiesen haben. Und auch im Westen haben sich immer mehr Zweifel entwickelt, die sich etwa aus Angst vor sozialem Abstieg oder Zuwanderung speisen. Und die Dauerkrisen der EU und des Euro haben ein Übriges getan.
BT: Was aber macht den Nationalismus und den Autoritarismus attraktiv?
Benner: Ein Führer, der endlich durchgreift. Die Zugehörigkeit zu einer starken Nation mit einem klaren Feindbild nach innen wie außen. Beispiele hierfür sind der Islam oder das „versiffte links-rot-grüne 68er-Deutschland“, wie es Jörg Meuthen (AfD) formuliert hat. Wenn man dazu noch das Recht auf einen garantierten Job und großzügige soziale Absicherung draufpackt, wie es Marine Le Pen in Frankreich tut, dann ist das für viele ein sehr attraktives Paket.
BT: Sind Rechtspopulismus und Nationalismus aufgrund der von Ihnen erwähnten traumatisierenden Erfahrungen der 90er Jahre denn eher ein osteuropäisches Phänomen
Benner: Trump, FPÖ, Front National, Brexit zeigen, dass Osteuropa bei weitem kein Monopol hat. Gleichzeitig liegen aber die Länder, in denen Rechtspopulisten an der Macht sind – Ungarn und Polen – in Osteuropa. Osteuropa hat sich nach 1989 entschieden, das EU-System zu übernehmen. Das war eine freie Wahl, aber die Osteuropäer haben kein Mitspracherecht bei den Regeln gehabt, und ihre Wirtschaften wurden zum großen Teil von westeuropäischen Konzernen übernommen. Das fördert Ressentiments gegen das vermeintliche Diktat Westeuropas und der EU. Gleichzeitig hat die liberale Demokratie in Osteuropa flachere, weil jüngere Wurzeln. Und gerade in Ungarn ist die Desillusionierung groß. „Liberal“ ist für viele ein Schimpfwort, weil es mit den Marktreformen der 90er gleichgesetzt wird. Diese haben den Eliten Reichtum beschwert, aber sie waren eben für Teile der Bevölkerung traumatisierend – für jene, die aus den sozialen Sicherungssystemen herausfielen und im Kapitalismus nicht erfolgreich durchstarten konnten. So konnten viele Ungarn etwa dem Versprechen Viktor Orbans, für einen „illiberalen Staat auf nationaler Grundlage“ zu arbeiten, durchaus Positives abgewinnen.
BT: Warum haben viele rechtspopulistische Bewegungen enge Kontakte zur Regierung von Wladimir Putin?
Benner: Für einige wie die Front National ist Putin eine zentrale Geldquelle. Für andere eine wichtige politische Unterstützung im Kampf gegen das liberal-demokratische Establishment. Und für einige auch ein Vorbild, weil Putin mit harter Hand regiert und national-konservative Werte zu verfolgen vorgibt. Und für Putin sind die Rechtspopulisten ein perfektes Mittel, um Europa zu destabilisieren.
BT: Was sollte man Einflussnahmeversuchen aus autoritär regierten Staaten wie Russland entgegensetzen?
Benner: Zentral ist: Russland und bisweilen auch China nutzen bei der Einflussnahme unsere Schwächen aus. Trump und Rechtspopulisten sind hausgemacht, werden aber von außen instrumentalisiert, um den Keil tiefer zu treiben. Sensible Daten können gestohlen werden, weil Parteien, Bundestag und Regierung nicht angemessen in Cybersicherheit investiert haben. Lügen fallen auf fruchtbaren Boden, weil viele den etablierten Medien nicht mehr trauen. Und einige Lobbyisten, Banker und Anwälte stellen sich gern in den Dienst autoritärer Mächte. Wir sind einseitig offen, etwa bei Investitionen. An diesen Schwächen sollten wir arbeiten.
BT: Wie soll das geschehen?
Benner: Wir sollten weiterhin offenbleiben, aber uns in zentralen Bereichen härten, etwa bei der Cybersicherheit unserer demokratischen Institutionen. Offenheit muss mit Offenlegung – etwa von Finanzströmen oder Mandaten aus autoritären Staaten – einhergehen. Bei Investitionen brauchen wir ein breiteres Verständnis Systemrelevanz, nicht nur im Bereich nationale Sicherheit, sondern auch bei Kerntechnologien und im Bereich Medien. Wir sollten zum Beispiel nicht erlauben, dass etwa die kapitalschwache Frankfurter Allgemeine Zeitung von einem russischen oder chinesischen Investor übernommen werden könnte.
BT: Ist es nicht heuchlerisch, wenn sich „der Westen“ über russische Einflussnahme beschwert? Die Clinton-Administration hat sich in den 90ern massiv in den russischen Wahlkampf eingemischt, um Boris Jelzin zu stützen.
Benner: Der Westen hat die aus seiner Sicht guten Kräfte unterstützt – und dabei nicht systematisch mit Lügen und Desinformation gearbeitet.
BT: Wird nicht jeder Versuch, Einflussnahme zu begrenzen, den Vorwurf nach sich ziehen, dass wir das tun, was wir anderswo kritisieren: Freiheitsrechte einschränken?
Benner: Offenlegung ist keine Einschränkung der Freiheitsrechte. Und Freiheitsrechte werden nur da eingeschränkt, wo die liberal-demokratische Grundordnung stark gefährdet wird.
BT: Sie fordern, ausländische Geldflüsse an Nichtregierungsorganisationen (NGOs) transparent zu machen. Ist das nicht genau das, was wir in Russland kritisieren, nämlich NGOs als „ausländische Agenten zu brandmarken?
Benner: Es geht nicht um Brandmarkung, sondern um Offenlegung von Finanzquellen. Nur wenn wir wissen, woher die Gelder einer NGO kommen, haben wir ein vollständiges Bild.
BT: Darf eine liberale Demokratie die Unterstützung bestimmter Parteien aus dem Ausland unterbinden?
Benner: Bei Parteien- und Wahlkampffinanzierung gilt: Legale Geldflüsse aus dem Ausland können unterbunden werden. In den USA etwa darf kein einziger Dollar aus dem Ausland in den Wahlkampf fließen. In Deutschland gilt die Regel, dass nur EU-Ausländer sowie im Ausland befindliche deutsche Staatsbürger an Parteien spenden dürfen. Auf jeden Fall sollte man alle Geldflüsse transparent machen.
BT: Müssen wir selbst ein bisschen weniger liberal werden, um autoritären Tendenzen zu begegnen?
Benner: „Wehrhafte Demokratie“ ist die richtige deutsche Antwort auf das Scheitern der Weimarer Republik. Und eine Wehrhaftigkeit mit Augenmaß, die antiliberale Kräfte aushält, aber wo nötig auch mit Nachdruck Einhalt gebietet, ist weiterhin geboten.
BT: Für wie groß halten Sie die Gefahr eines „Jahrhunderts des Autoritarismus“, vor dem Ralf Dahrendorf vor 20 Jahren gewarnt hat?
Benner: Die Gefahr ist beträchtlich. In Europa haben wir es selbst in der Hand. Wir müssen erkennen: Liberale Demokratie ist kein Selbstläufer, für sie müssen wir täglich streiten, um sie zu erhalten und zu verbessern. Wie Barack Obama gesagt hat: Bürger ist die wichtigste zu vergebende Position in der Demokratie. Wir dürfen dabei Patriotismus und Nation nicht den Rändern überlassen, sondern müssen sie von der Mitte aus besetzen, im Einsatz für Europa und die offene Gesellschaft. Und da gibt es mittlerweile Lichtblicke, wie die Pulse-of-Europe-Bewegung. Oder der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron, der Patriotismus mit einer starken pro-europäischen Botschaft verbindet. Selbst in Ungarn wächst eine politische Alternative heran, eine neue Partei der um 1989 Geborenen. Das macht Hoffnung.
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This interview, also available in English, was conducted in the context of the research project “Liberale Demokratie im Zangengriff: Umgang mit Einflussnahme von außen,” supported by Stiftung Mercator. The German version appeared Badisches Tagblatt on April 1, 2017.