Commentary

Baerbocks Außenpolitik: Ein feministischer Flickenteppich

Balbon Mirzaei 2024 Feministischer Flickenteppich
By
Niklas Balbon, Diba Mirzaei
18 Mar 2024, 
published in
Frankfurter Rundschau

Im März 2023 verkündete das Auswärtige Amt mit den Leitlinien zur feministischen Außenpolitik eine ambitionierte Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik. Groß war die Freude bei Anhänger*innen einer solchen Politik vor einem Jahr, ebenso groß ist nun die Ernüchterung. Live erleben wir mit, wie statt struktureller Veränderung ein feministischer Flickenteppich entsteht. Das wirft die Frage auf: was bringt uns eine feministische Außenpolitik, wenn sie nicht für alle Menschen gilt?

Im Ideal bedeutet eine feministische Außenpolitik, Perspektiven marginalisierter Gruppen ins Zentrum außenpolitischen Handelns zu stellen. Um dies zu tun, müssen wir uns kritisch mit gängigen Konzepten, wie Sicherheit, auseinandersetzen. Was verstehen wir unter Sicherheit und wessen Sicherheit ist uns wichtig?

Die feministische Antwort auf diese Fragen lautet, die Sicherheit und Würde aller Menschen gleichwertig zu behandeln. Ein Blick auf die vergangenen zwölf Monate zeigt, dass wir dies jedoch nicht tun. Wo im Fall der Ukraine das Völkerrecht hochgehalten, die Ukraine unterstützt und Russland zurecht für seine Aggression getadelt und sanktioniert wird, sieht es im Falle Gazas anders aus. Selbst nach unzähligen toten Zivilist*innen, einer sich rasant ausbreitenden Hungerkatastrophe und dem vorläufigen Tadel des Internationalen Strafgerichtshofs hält Deutschland weiterhin bedingungslos zu Israel und nutzt sein politisches Gewicht nur äußerst zögerlich, um einen Waffenstillstand in Gaza zu fordern.

Doch ist nichts feministisch daran, die Opfer des Terroranschlags vom 7. Oktober zurecht zu betrauern, während man die täglich steigende Zahl getöteter Zivilist*innen in Gaza als Preis für seine politische Unterstützung Israels in Kauf nimmt. Ebenso ist nichts feministisch daran, sich weiterhin an die Seite von Staaten zu stellen, die das Völkerrecht missachten – auch oder gerade, weil sie unsere Verbündeten sind. Und es ist nichts feministisch daran, nur dann schnell und entschlossen zu reagieren, wenn die eigenen Handelsinteressen in Gefahr sind, so wie es das militärische Vorgehen gegen die Houthis im Roten Meer zeigt. Wer bei der Verteidigung des globalen Handels schneller ist als bei der Forderung nach einem Waffenstillstand in einem Krieg, der primär zivile Opfer fordert, offenbart seine außenpolitischen Prioritäten unmissverständlich.

Doch nicht nur die Frage danach, wo feministische Außenpolitik angewendet wird, offenbart einen Flickenteppich. Der Fall der Ukraine zeigt, wie lückenhaft sie selbst dann umgesetzt wird, wenn sie prinzipiell zum Tragen kommt. Das Problem liegt nicht in der grundsätzlichen Ausrichtung der deutschen Ukraine-Politik – auch aus feministischer Perspektive ergibt sich die Notwendigkeit der militärischen und humanitären Unterstützung der Ukraine. Jedoch offenbaren sich mit Blick auf die zivile Unterstützung feministische Defizite. Der Krieg trifft Frauen, Männer und weitere Geschlechter auf unterschiedliche Weise, die jedoch nicht hinreichend in unseren Maßnahmen abgebildet wird. Gerade die Bedürfnisse von Frauen und queeren Personen werden häufig übersehen.

So unterstützen wir Binnengeflüchtete, adressieren allerdings nur selten spezifische Bedürfnisse von LGBTQ+-Geflüchteten, wie den Zugang zu queer-freundlicher Gesundheitsversorgung. Dies ist symptomatisch für unser bisheriges Handeln, welches die spezifischen Bedürfnisse marginalisierter Gruppen nur vereinzelt anstatt flächendeckend berücksichtigt.

Ein Jahr nach der Auslobung der feministischen Außenpolitik stehen wir somit vor einem doppelten Flickenteppich: weder wird sie überall angewandt noch ist sie dort flächendeckend, wo sie überhaupt zum Tragen kommt. Dies ist tragisch, denn eine feministische Außenpolitik bedeutet die Transformation unseres gesamten Denkens und Handelns. Sie bedeutet auch, sich kritisch mit liebgewonnenen Mantras der deutschen Außenpolitik, wie beispielsweise der bedingungslosen Unterstützung Israels, auseinanderzusetzen.

Doch genau dies scheint noch in weiter Ferne. Das ist mit Blick auf das transformative Potential der feministischen Außenpolitik nicht nur enttäuschend, sondern potenziell sogar gefährlich. Es besteht die Gefahr, problematische außenpolitische Strukturen und Praktiken durch das humanistische Gewand der feministischen Außenpolitik zu verschleiern. Dadurch erweist man sowohl dem Feminismus als auch der Außenpolitik einen Bärendienst.


This commentary was first published by Frankfurter Rundschau on March 172024.