Orbans „illiberaler Staat“: Deutsche Unternehmen müssen dem Spiel ein Ende bereiten
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnte am Dienstag, Europa dürfe „nicht schweigen, wenn der Zivilgesellschaft, selbst der Wissenschaft – wie jetzt an der Central European University (CEU) in Budapest – die Luft zum Atmen genommen werden soll.“
In einer in der EU bislang beispiellosen Attacke auf die Wissenschaftsfreiheit hatte am selben Tag Ungarns Parlament im Eilverfahren ein Gesetz verabschiedet, dass die sowohl den USA als auch Ungarn akkreditierte CEU aus dem Land treiben soll. Die von George Soros finanzierte Privatuniversität, die sich als Leuchtturm für die offene Gesellschaft versteht, ist nur das jüngste Ziel von Viktor Orbán. Ungarns Premier will mitten in der EU einen „illiberalen Staat auf nationaler Grundlage“ aufbauen, wie er vor drei Jahren in einer Rede ankündigte. Dazu höhlt er systematisch die Rechtsstaatlichkeit aus, drangsaliert unabhängige Nicht-Regierungsorganisationen und Medien sowie verfolgt Hetzkampagnen gegen Migranten und den Islam.
Wirtschaftlich zog Orbán die steuerlichen und regulatorischen Daumenschrauben bei internationalen Konzernen im Bereich Medien, Banken, Energie, Telekom und Einzelhandel an, deren Marktanteil er zugunsten von heimischen Unternehmen aus seinem Dunstkreis verringern will. Gleichzeitig umwirbt Orbán erfolgreich ausländische Industriekonzerne: 75 Prozent der ungarischen Industrieinvestitionen kommen aus dem Ausland. Dabei sind deutsche Firmen prominent vertreten. „Deutsche Investoren lieben Orbanistan“, titelte das “Handelsblatt” im vergangenen Jahr. Audi, Daimlerund Bosch haben in Ungarn große Werke sowie Logistik- und Forschungszentren. Daimler baut gerade ein weiteres Werk für eine Milliarde Euro. Insgesamt haben deutsche Firmen in Ungarn 174.000 Beschäftigte und machen 200 Milliarden Euro Umsatz.
Orbán schmückt sich gern mit den Großinvestitionen deutscher Konzerne als Beweis für den Erfolg seiner Regierung. Und deutsche Unternehmensführer spielen das Spiel bei Terminen mit Orbán oft allzu gern mit. Audi-Chef Stadler etwa betonte vor zwei Jahren bei einem Termin mit dem Premier: „Wir fühlen uns als Audi zu Hause in Ungarn“.
Es ist höchste Zeit, dass deutsche Unternehmen diesem Spiel ein Ende bereiten. Audi, Daimler und andere sollten aufhören, als Feigenblätter zur Steigerung seiner Beliebtheit herzuhalten. Die Unternehmen sollten Farbe bekennen, wie sie Freiheit innerhalb der EU verstehen. Geben sich Audi und Co. damit zufrieden, von den vier Marktfreiheiten des Binnenmarkts zu profitieren, während politische Freiheiten mit Füßen getreten werden? Das wäre eine traurige Interpretation des Audi-Credos „Wir leben Verantwortung“ und dem Versprechen, bei jeder Entscheidung auch die „gesellschaftlichen Folgen im Blick zu haben“.Deutsche Unternehmen in Ungarn sollten klar Position beziehen gegen Orbáns Kampf gegen unabhängige Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Und als Teil ihrer CSR-Aktivitäten sollten sie einen Fonds zur Unterstützung unabhängiger Medien und NGO-Gruppen gründen, um ein Zeichen zu setzen gegen die Putinisierung inmitten der EU.
Es ist unwahrscheinlich, dass deutsche Unternehmen diesen Kursschwenk ohne öffentlichen Druck vollziehen. Bislang mussten sie sich kaum kritische Fragen zu ihrer Rolle in Ungarn gefallen lassen. Der offenen Gesellschaft verpflichtete NGOs und Medien sollten diesen allzu bequemen Zustand beenden. Eine Kehrtwende werden die Unternehmen dann unternehmen, wenn sie in ihren Heimatmärkten im Westen unter Druck geraten und Unternehmensführer bei öffentlichen Terminen regelmäßig gefragt werden: „Wie halten Sie es mit Orbáns illiberalem Staat?“.
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This commentary was originally published by Wirtschaftswoche on April 5, 2017.