Deutschland sollte besser mit dem Schlimmsten rechnen
„Wir schaffen auch den!“ Mit großen Lettern sprach „Bild“ am Tag nach der Wahl von Donald Trump den Lesern Mut zu. Doch wie? Noch nie war es so schwer wie heute für Verbündete, sich auf einen neuen US-Präsidenten einzustellen. Niemand (Donald Trump wahrscheinlich eingeschlossen) weiß, wie die Grundzüge der US-Außenpolitik aussehen werden. Der Präsidentschaftskandidat oszillierte im Wahlkampf zwischen widersprüchlichen Positionen und betonte zudem Unberechenbarkeit als außenpolitische Kerntugend. Daher sollte sich Deutschland auf den schlimmsten Fall vorbereiten, in dem Trump den US-Bündnissystemen und multilateralen Institutionen immensen Schaden zufügt. Der beste Weg zur Schadensbegrenzung ist, die Beziehung mit der Trump-Regierung auf klaren Prinzipien aufzubauen und gleichzeitig die europäische Fähigkeit, für die eigene Sicherheit zu sorgen, zu stärken.
Deutschland sollte zunächst einmal wie mit jeder anderen Regierung auch mit der Trump-Regierung den Austausch suchen. Viele der von Trump berufenen Spitzenbeamten werden für Deutschland unbeschriebene Blätter sein. Hier gilt es, rasch Beziehungen aufzubauen. Gleichzeitig sollte Deutschland den Austausch mit jenen Republikanern im US-Kongress intensivieren, die an einer globalen Führungsrolle der USA und an den bestehenden Allianzen in Europa und Asien interessiert sind. Neben den Demokraten im Senat werden sie maßgeblich sein, um Trumps schlimmsten Instinkten Grenzen aufzuzeigen.
Kanzlerin Merkel sollte sich mit einem Antrittsbesuch in Washington ruhig Zeit lassen. Der NATO-Gipfel in Brüssel im ersten Halbjahr 2017 sowie das G20-Treffen im Juli in Hamburg bieten erste Gelegenheiten für einen Austausch auf europäischem Boden. In der Zwischenzeit sollte Deutschland alles daran setzen, einen gemeinsamen europäischen Ansatz gegenüber Trump zu entwickeln. Dies wird schwierig werden, denn der künftige Präsident wird wahrscheinlich versuchen, die EU-Staaten in der Handelspolitik und anderen Fragen gegeneinander auszuspielen. Einige EU-Staaten werden dabei allzu willfährig mitmachen.
Großbritanniens Premierministerin Theresa May etwa müht sich eifrig, die „Special Relationship“ mit den USA wieder aufzuleben zu lassen, um sich für den Brexit zu wappnen und in der Schlange der Verhandlungspartner von bilateralen Handelsabkommen zumindest vor Moldau eingereiht zu werden. Und rechtspopulistische Ministerpräsidenten wie Ungarns Viktor Orbán können es kaum abwarten, sich Trump anzudienen. Mit dem rechtsradikalen Medienmogul Stephen Bannon als Chefstratege im Weißen Haus besteht die Gefahr, dass die USA aktiv eine Allianz der Rechtspopulisten in Europa unterstützen. Der „New Europe“-Ansatz von George W. Bush könnte in Form eines rechtpopulistischen „Neuen Europas“ unter Trump fröhliche Urständ feiern. Allein die Tatsache, dass Polens Rechtsregierung in der Russlandpolitik mit Trump über Kreuz liegt, könnte dieser Allianz einen Riegel vorschieben.
Wenn die Trump-Regierung neue Ansätze für Syrien und andere Krisen vorschlägt, sollte Deutschland dies unvoreingenommen prüfen. Gleichzeitig sollten Deutschland und Europa Trump signalisieren, dass sie eigene Wege gehen, falls Trump wichtige Abkommen aufkündigt. Ein Beispiel ist das Atomabkommen mit dem Iran. Europa sollte klarstellen, dass es weiter mit dem Iran Handel treiben und nicht zu Sanktionen zurückkehren wird, selbst wenn die USA aus dem Abkommen aussteigen.
Um die Glaubwürdigkeit des Westens als verlässlicher internationaler Partner zu wahren, muss Deutschland klar jegliche Verletzung demokratischer Grundwerte beim Namen nennen, auch wenn sie von den USA begangen werden. Angela Merkels Glückwunschschreiben an Trump, in dem sie den frisch gewählten Präsidenten an die gemeinsamen Grundwerte erinnerte, hat hier den richtigen Ton getroffen. Falls die Trump-Regierung Folter wiedereinführt oder die Grundwerte von Einwanderern oder Minderheiten verletzt, muss Deutschland dem laut und klar begegnen. Deutsche und europäische Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen, die für die Werte der freien Gesellschaft einstehen, sollten ihre Zusammenarbeit mit Partnern auf der anderen Seite des Atlantiks intensiveren. Öffentliche Geber und Stiftungen sollten mehr und qualitativ bessere Austauschprogrammen mit den USA anbieten (etwa für Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende). Sie können ein wichtiges Korrektiv zu den zu erwartenden Spannungen auf höchster politischer Ebene sein.
Für die europäische Verteidigungspolitik könnte sich die Wahl Trumps als heilsamer Schock erweisen. Trumps Drohung, die Sicherheitsgarantien für Europa zu überdenken, falls Europa nicht mehr in die eigene Sicherheit investiert, ist ein wichtiges Warnsignal. Europa sollte seine eigenen Fähigkeiten weitaus stärker ausbauen, auch im Geheimdienstbereich (mit entsprechender Aufsicht). Deutschland steht dabei überdies eine Debatte um die nukleare Verteidigung ins Haus, sollte Trump mit seinen Drohungen ernst machen. Deutschland sollte für den Fall der Fälle mit Frankreich und Großbritannien ernsthaft über einen gemeinsamen nuklearen Abwehrschirm diskutieren.
Deutschland und Europa sollten auch die Widerstandsfähigkeit gegen Einflussnahme durch autoritäre Staaten wie Russland und China erhöhen. Das heißt im Umkehrschluss auch, gegen Versuche der autoritären Einflussnahme vorzugehen, wenn sie aus dem Weißen Haus in Form von Stephen Bannon ausgeübt wird. Bannon ist der CEO der rechtsradikalen Medienplattform Breitbart, die nach Europa expandieren will.
Deutschland sollte eng mit anderen liberal-demokratischen Staaten zusammenarbeiten, um das westliche Bündnis und multilaterale Institutionen so gut wie möglich zu schützen. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, die Beziehung zu Kanada als starkem Partner Deutschlands zu vertiefen. Der kanadische Premierminister Justin Trudeau ist das perfekte politische Gegengift zu Trump. Angesichts des fast schon dauerhaften Krisenmodus wird Deutschland wenig politische Energie haben, in eine dringend nötige Generalüberholung globaler Institutionen, etwa im Bereich Flucht und Migration, zu investieren. Dennoch sollte Deutschland jetzt schon eine Reformagenda skizzieren, die in besseren Zeiten mit Verve aufgegriffen werden kann.
All diese Bemühungen werden umsonst sein, wenn es Deutschland nicht gelingt, die anti-liberale Welle im eigenen Land aufzuhalten. Trumps Wahl sollte der letzte Warnschuss für der offenen Gesellschaft verpflichtete Politiker und Bürger sein, mit der gleichen Leidenschaft für ihre Ziele zu kämpfen wie die rechtspopulistischen Totengräber der Demokratie. Alle Augen sollten auf Frankreich gerichtet sein. Eine Präsidentin Marine Le Pen würde Europa nicht überleben. Deutschland sollte dem Austeritätsfetisch abschwören und eine konstruktivere Rolle bei der Generalüberholung der Eurozone spielen. Dies würde auch dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi helfen, der bei dem von ihm angesetzten Referendum am 4. Dezember ums politische Überleben kämpft. Kanzlerin Merkel hat ihren neuen Verbündeten Renzi bislang politisch am langen Arm verhungern lassen.
Die Vorstellung, dass Deutschland jetzt die Rolle des „Anführers der freien Welt“ übernimmt, ist jedoch wirklichkeitsfremd. Deutschland kann einen Beitrag zur Begrenzung des Schadens an der liberalen Ordnung während der Trump-Jahre leisten. Im Februar 2016 warnteAußenminister Frank-Walter Steinmeier, die Fliehkräfte in Europa seien so groß, dass „viel gewonnen“ wäre, wenn wir „in einem Jahr noch dieselbe EU finden, wie wir sie heute haben”. Heute lässt sich sagen: Wenn in vier Jahren ein weniger polarisierender US-Präsident ins Amt kommt und die EU und das transatlantische Verteidigungsbündnis intakt sind, wäre viel gewonnen. Weit dramatischere Szenarien sind vorstellbar. Der Aufmacher der B.Z. am Tag nach der US-Wahl war: „Die Nacht, in der der Westen starb“. Deutschland sollte alles daran setzen, dass diese Prophezeiung nicht Realität wird.
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This commentary was originally published by Internationale Politik und Gesellschaft on November 24, 2016.