UN stärken – auch militärisch
Die Beteiligung am Krieg gegen den „Islamischen Staat“ (IS) drängt den bevorstehenden Bundeswehreinsatz in Mali in den Hintergrund. Auch hier möchte die Bundesregierung Hunderte Soldaten ins Ausland schicken. Der Blauhelmeinsatz ist entscheidend für den seit 2012 andauernden Friedensprozess. Statt die Ausnahme zu bleiben, sollte er ein Präzedenzfall für die zukünftige Ausrichtung der Bundeswehr schaffen und die Vereinten Nationen (UN) entsprechend im Weißbuch der Bundeswehr berücksichtigt werden.
Nach der Teilnahme an der französischen Anti-IS-Koalition steht im Januar bereits das nächste umfangreiche Mandat der Bundeswehr bevor: Aufklärer, Objektschutz und Sanitäter – insgesamt könnten bis zu 650 Soldaten nach Mali aufbrechen. Es wäre somit einer der größten Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Das westafrikanische Land droht seit Jahren zu zerfallen. Im Frühjahr 2013 drängte Frankreich dschihadistische Gruppen zurück, die große Teile des Landes kontrollierten. Bei der darauf folgenden Mission der UN starben bereits 56 UN-Soldaten durch Sprengfallen und Hinterhalte. Damit ist es einer der gefährlichsten Blauhelmeinsätze.
Neben der Absicherung des Waffenstillstands sieht das UN-Mandat auch so ehrgeizige Ziele wie die Stabilisierung des Landes oder die Unterstützung der nationalen Versöhnung vor. Begründete die Bundesregierung den geplanten Einsatz noch im September mit der Ablösung der Niederlande, deren Aufklärer eine Schlüsselaufgabe der Mission erfüllen, so steht seit den Anschlägen von Paris die Entlastung Frankreichs im Vordergrund.
Der Angriff einer dschihadistischen Terrorgruppe auf ein Hotel in Bamako Ende November zeigt indes, wie sehr Mali auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft angewiesen ist. Ohne die Präsenz der Blauhelme wäre ein Scheitern des fragilen Friedensprozesses zwischen der Regierung und den Rebellen im Norden des Landes wahrscheinlich.
Eine verstärkte Teilnahme an den Friedensmissionen der UN wäre aber auch andernorts sinnvoll. Mit über 100 000 Soldaten und Polizisten weltweit leisten die UN einen wichtigen Beitrag zu Frieden und Sicherheit in der Welt. Die Anforderungen an die Blauhelmeinsätze sind über die Jahre gestiegen. Ging es ursprünglich um die Kontrolle von Waffenstillstandsabkommen zwischen Staaten, sind heute der Schutz von Zivilisten, Stabilisierung ganzer Staaten und teilweise aktives Vorgehen gegen bewaffnete Gruppen wichtiger.
Aufgrund mäßigen Engagements der Staatengemeinschaft sind die Missionen für solche Ziele oft unzureichend ausgestattet. Zur Lösung des Problems sagten am Rande des UN-Gipfels im September 50 Staaten 30 000 zusätzliche Soldaten für die UN-Einsätze zu. Dennoch stellt Deutschland bislang gerade 0,2 Prozent der weltweit eingesetzten Soldaten und Polizisten. Zudem vermeidet die Bundesregierung eine Festlegung auf die langfristige Unterstützung der UN durch die Bundeswehr.
Beim UN-Gipfel zeigten sich Staaten wie Italien oder Spanien engagierter. Seitdem ist die Rede von einer europäischen Rückkehr in die Einsätze der UN. Diese wird auch dringend gebraucht. Befand sich der europäische Anteil der Blauhelme vor 20 Jahren noch bei 40 Prozent, waren es zuletzt gerade sieben Prozent. Die europäischen Staaten verfügen über wichtige Fähigkeiten, die bei asymmetrischen Konflikten wie in Mali helfen können. Gleichzeitig stellen sie hohe Ansprüche an die Blauhelmeinsätze und können so zu ihrer Verbesserung beitragen. Für die Europäer kann die Teilnahme an den zivil geführten UN-Missionen, die militärische Einsätze in politische Konfliktlösungen einbetten, wiederum wertvolle Erfahrungen für andere Konfliktherde bieten.
Der Einsatz in Mali darf daher keine Ausnahme bleiben. Anstatt alle paar Jahre – wie zuletzt beim Libanoneinsatz 2006 – dem Drängen der Bündnispartner nachzugeben, sollte ein Kurswechsel stattfinden und die Blauhelmeinsätze auch in Zukunft eine wichtige Rolle für die Bundeswehr spielen. Hierfür muss sie die Bundesregierung klar als Eckpfeiler deutscher Sicherheitspolitik verankern.
Die Gelegenheit bietet sich im Weißbuch, das die Ausrichtung der Bundeswehr für die kommenden Jahre bestimmt und 2016 erscheinen wird. Die Rahmenbedingungen dafür sind gegeben. Die zurückhaltenden UN-Einsätze passen zur defensiven Doktrin der Bundeswehr und drei Viertel der deutschen Bevölkerung halten eine Beteiligung an international beschlossenen Friedenseinsätzen für gerechtfertigt. In jüngsten Umfragen wuchs der Rückhalt für eine aktivere deutsche Außenpolitik deutlich. Die höhere Priorisierung der Blauhelmeinsätze würde diesen Trend auffangen und in eine langfristige Strategie einbetten. Damit wäre nicht zuletzt die Anpassung der maroden Bundeswehrausrüstung an die Bedürfnisse der UN möglich.
Darüber hinaus schafft ein verstärktes Engagement die Voraussetzung, sich glaubwürdig in die Reformbemühungen um die Blauhelmeinsätze einzubringen. Parallel zu deren erweitertem Aufgabenspektrum fanden sich die UN in immer gefährlicheren Konflikten wieder. Als Resultat häuften sich die enttäuschten Erwartungen. Um dies zu vermeiden, braucht es eine bessere Koordination der beteiligten Akteure und Strategien, die sich an den verfügbaren Mitteln orientieren. Hier könnte Deutschland – ausgehend von einem substantiellen Beitrag in Mali – ansetzen und so daran mitwirken, dass zukünftige UN-Missionen ihre Ziele erreichen.
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This commentary was originally published by Frankfurter Rundschau on December 29, 2015. The article is also available in English.