Commentary

Humanitäre Hilfe in Syrien: Die Helfer dürfen sich nicht von Assad erpressen lassen

10 Feb 2023, 
published in
Tagesspiegel

Sobald die Erde in der Türkei und Syrien aufhörte zu beben, begannen Menschen vor Ort mit bloßen Händen, Überlebende aus den Trümmern zu bergen. Etwas später treffen normalerweise nationale und internationale Rettungsteams ein, die schweres Gerät dabeihaben und bei der Evakuierung von Verwundeten helfen. Die Hilfsmaschinerie läuft an. Außer man lebt in einem Gebiet, in dem die Menschen von ihrer eigenen Regierung bekämpft oder unterdrückt werden.

Genau das ist in der Provinz Idlib im Nordwesten Syriens der Fall. Die Region wird von Rebellen gegen das Assad-Regime kontrolliert. Seit dem Erdbeben ist die Straße zum einzig zugelassenen Grenzübergang zur Türkei zerstört.

Daher stellt sich die Frage, wie Hilfe zu den Menschen gelangen kann und ob Hilfsorganisationen auf die Forderungen des Regimes eingehen sollten, Hilfe über Damaskus zu senden. Die deutsche Regierung ist dazu bisher nicht bereit, sondern darauf besteht, dass sie direkt in die Rebellengebiete gebracht wird, über die Grenze mit der Türkei.

Drei Gründe für das Dilemma der HIlfsorganisationen

Denn auch wenn die Straße am Grenzübergang Bab al-Hawa zerstört ist, könnten andere Grenzübergänge geöffnet werden. Das Regime in Damaskus hält sie seit Jahren geschlossen. Die Staatengemeinschaft hat zwar wiederholt versucht zu verhandeln, konnte aber nur die Offenhaltung dieses einen Grenzübergang erreichen. Gleichzeitig hat sie Forderungen der syrischen Regierung nachgegeben und dieser dadurch viel Kontrolle darüber ermöglicht, wer Hilfe bekommt und wer nicht. Gleichzeitig gingen viele der lukrativen Verträge an enge Verbündete Assads.

Es gibt drei Hauptgründe, warum humanitäre Organisationen immer wieder in Situationen landen, in denen sie klar gegen die Prinzipien der Unparteilichkeit und Neutralität verstoßen:

Erstens haben humanitäre Helfer primär das Ziel Leben zu retten und Leid zu lindern. Diktatoren, Regierungen und bewaffnete Gruppierungen sind geschickt darin, das auszunutzen. In Syrien, Äthiopien und im Jemen ist es ihnen gelungen, Schritt für Schritt mehr Kontrolle darüber zu erlangen, wen die internationalen Organisationen unter Vertrag nehmen und wer Hilfe bekommt.

Zweitens sind Humanitäre darauf spezialisiert, so schnell wie möglich auf Krisen zu reagieren. Bei plötzlich einsetzenden Katastrophen wie Erdbeben sind die ersten Stunden und Tage entscheidend. Humanitäre Helfer sind daher oft nicht gut darin, die langfristigen Folgen ihres Handelns abzuwägen. Und so machen sie leicht das eine oder andere kleine Zugeständnis, um schnell zum Einsatz zu kommen. Keiner der Kompromisse lässt sich später leicht wieder zurücknehmen.

Drittens haben humanitäre Organisationen, die behaupten können, sie seien vor Ort präsent, einen zentralen Wettbewerbsvorteil wenn es um das Spendensammeln geht. Deshalb ist es so schwierig für humanitäre Organisationen, sich auf gemeinsame rote Linien für eine Verhandlung mit Regimen zu einigen und sich dann auch daran zu halten. Diktatoren oder Regierungen können die verschiedenen Organisationen gegeneinander ausspielen.

Eine härtere humanitäre Position bei Verhandlungen kann bedeuten, dass bestimmte Gebiete nicht mit internationalen Hilfsleistungen versorgt werden, zumindest nicht auf kurze Sicht. Doch diese tragische Konsequenz muss in Kauf nehmen, wer die Glaubwürdigkeit der humanitären Hilfe bewahren möchte.

Denn diese beruht darauf, dass alle Menschen nach dem Maß ihrer Not versorgt werden und dass jeglicher Versuch, Hilfsleistungen politisch oder militärisch zu instrumentalisieren, unterbunden wird. Auf lange Sicht werden nur glaubwürdige humanitäre Organisationen in der Lage sein, auch in wirklich schwierigen Kontexten Hilfe zu leisten.

Wir können daher nur hoffen, dass der momentane worst case in Syrien humanitäre Organisationen dazu bringt, künftig die langfristigen Konsequenzen ihrer Entscheidungen besser zu berücksichtigen und enger zusammenzuarbeiten. Geberregierungen könnten ihnen dabei sehr helfen, wenn sie sich klar für eine prinzipienbasierte Hilfe positionieren würden, anstatt primär darauf zu achten, wer vor Ort ist.


This commentary was originally published in Tagesspiegel on February 102023.