Berufliche Bildung in fragilen Kontexten
Zusammenfassung
Der globale Kontext ist durch eine zunehmende Zahl aufstrebender Volkswirtschaften und Staaten gekennzeichnet. Gleichzeitig ist eine signifikante Zahl von Staaten von Staatszerfall, Gewalt und Konflikten bedroht. Die Bedeutung dieser fragilen Staaten als Herausforderung und Tätigkeitsfeld für die internationale Zusammenarbeit nimmt zu. Bereits heute ist die Mehrheit der Partnerländer der deutschen internationalen Zusammenarbeit von Fragilität betroffen (AA, BMZ et al. 2012; BMZ 2013). Fragile Kontexte verändern die Art und Weise wie die Instrumente der klassischen Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt werden können. Eine empirisch informierte Auseinandersetzung mit der Wirkung von Fragilität auf Maßnahmen der internationalen Zusammenarbeit ist daher dringend geboten.
Vor diesem Hintergrund fragt die vorliegende Studie, wie Fragilität von der Bundesregierung unterstützte Maßnahmen der beruflichen Bildung beeinflusst. Berufliche Bildung ist seit jeher ein zentrales Instrument der Bundesregierung zur Förderung von Entwicklung und Wachstum im globalen Kontext. Sie findet an der Schnittstelle zwischen Staat, Wirtschaft und Arbeitnehmerschaft statt. Um die Wirkung von Fragilität auf das Zusammenspiel dieser drei Akteure sichtbar machen zu können, muss das allgemeinhin verwendete Konzept von Fragilität ergänzt werden. Es bezieht sich nämlich ausschließlich auf Dimensionen staatlicher Fragilität – ein eingeschränktes Gewaltmonopol, ein Mangel an Kapazitäten öffentliche Güter herzustellen und mangelnde Legitimität des Staates. Für die berufliche Bildung haben aber sozio-ökonomische Dimensionen wie der Gültigkeit von Verträgen oder sozialen Normen eine ebenso große Bedeutung. Nur wenn staatliche und sozio-ökonomische Dimensionen gemeinsam betrachtet werden, können die spezifischen Herausforderungen von beruflicher Bildung in fragilen Kontexten greifbar gemacht werden.
In der vorliegenden Studie wird daher ein erweitertes Fragilitätskonzept auf die Analyse von 12 Projekten in vier Ländern – Ägypten, Demokratische Republik Kongo, Irak und Pakistan – angewandt. Die Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass Maßnahmen der beruflichen Bildung vor zahlreichen, kontextabhängigen Herausforderungen stehen. Es gibt jedoch eine Hauptherausforderung, der allen Berufsbildungsprojekten in fragilen Kontexten in der ein oder anderen Weise gegenüberstehen: die zentralen Akteure der beruflichen Bildung im Partnerland sind entweder nicht in der Lage oder nicht willens, in berufliche Bildung zu investieren. Ein substantieller Anteil von Berufsbildungsprojekten besteht also daraus beim Staat, in der Wirtschaft und Arbeitnehmerschaft eine Nachfrage nach beruflicher Bildung zu generieren. In anderen Worten, Berufsbildungsmaßnahmen in fragilen Kontexten müssen in den Partnerländern einen Markt für berufliche Bildung schaffen.
Für die erfolgreiche Schaffung eines Marktes für berufliche Bildung in fragilen Kontexten ergeben sich aus dem analysierten empirischen Material vier Lektionen. Erstens, umfassende aber informelle Analysen fragiler staatlicher und sozio-ökonomischer Institutionen sind für das Gelingen von Projekten zentral. Zweitens, Projekte der beruflichen Bildung sind in fragilen Kontexten besonders dann wirksam, wenn sie einen holistischen Ansatz verfolgen. Drittens, Zeitpunkt und Länge der Maßnahme müssen richtig gewählt werden. Viertens, die systematische und reflektierte Auswahl von Partnern ist wichtig, um die Relevanz und Wirkung von Maßnahmen der beruflichen Bildung in fragilen Kontexten zu gewährleisten.
Parallel zur Analyse, wie Fragilität Maßnahmen der beruflichen Bildung beeinflusst, schaut sich die Studie auch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen BMZ und AA bezüglich der Umsetzung von Berufsbildungsprojekten an. Sie analysiert die Ziele, Instrumente und Fördermodalitäten der beiden Ministerien. Auf Grundlage dieser beiden Analyseschritte entwickelt die Studie Ideen für gemeinsame Pilotprojekte in der beruflichen Bildung. Die genaue Ausgestaltung dieser Projekte hängt von den jeweiligen Kontexten ab. Die Studie zeigt jedoch auf, dass Pilotprojekte in einer relativ überschaubaren Situation von Fragilität, wie zum Beispiel chronischen Flüchtlingscamps oder der Kombination von einem bestimmten Sektor und einer bestimmte Zielgruppe, stattfinden sollten. Darüber hinaus sollten Pilotprojekte am Übergang zwischen Krisensituation und Wiederaufbau stattfinden, um die unterschiedlichen Herangehensweisen von AA und BMZ gut zu kombinieren. Schließlich ist es wichtig, die Pilotierung mit einer längeren Lernphase zu beginnen. Viele der Herausforderungen, denen Maßnahmen der beruflichen Bildung gegenüberstehen – wie zum Beispiel die Frage des Zugangs (access) und die damit verbundenen Problemfelder Sicherheit von Personal und konfliktsensitive Programmgestaltung – sind humanitären Organisationen seit langem bekannt. Auf diese Erfahrungen sollten die Pilotprojekte aufbauen.
Die Studie endet mit einem kurzen Aufriss zu weiteren Forschungsfragen im Bereich berufliche Bildung und Fragilität. Als nächster Schritt ist hier Feldforschung besonders relevant. Nur mit zusätzlicher empirischer Tiefe kann die konzeptionelle und praktische Diskussion zu Fragilität und beruflicher Bildung weiter vorangebracht werden.
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