Berliner Elitehochschule ESMT: Orbáns williger Partner
Am Freitag kommt Ungarns Premierminister Viktor Orbán nach Berlin zu Gesprächen mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Anlass ist die bevorstehende Übernahme der europäischen Ratspräsidentschaft durch den selbsternannten Anführer des „illiberalen Staats“. Der Empfang im Kanzleramt wird eher frugal sein. Eine gemeinsame Pressekonferenz fällt aus. Da böte sich ein öffentlichkeitswirksamer Abstecher zum Staatsratsgebäude an, wo Orbán auf einen begeisterteren Empfang hoffen kann. Dort residiert die „European School of Management and Technology“ (ESMT), seit letztem Jahr Kooperationspartner von Orbáns Prestigeprojekt Mathias-Corvinus-Collegium (MCC).
Das MCC bietet tausenden von Stipendiaten ein Bildungsprogramm ergänzend zum (Hoch)schulstudium. Gleichzeitig fungiert es als den Prinzipien von Orbáns „illiberalem Staat“ verpflichtete Denkfabrik und ist dafür finanziell überaus schlagkräftig ausgestattet. 2020 erhielt das MCC ein Stiftungskapital von mehr als einer Milliarde Euro. Orbáns sehr talentierter politischer Direktor Balázs Orbán steuert das MCC als Kuratoriumsvorsitzender direkt aus dem Regierungssitz heraus. Das MCC ist Orbáns Gegenentwurf zur Anfang der 90er Jahre in Budapest etablierten Central European University des Milliardärs George Soros, welche Nachwuchseliten für Demokratie und offene Gesellschaften ausbildet. Orbán selbst profitierte von einem Soros-Stipendium, um in Oxford zu studieren. Einige aus seinem inneren Kreis, wie beispielsweise sein internationaler Chef-Kommunikator Zoltán Kovács, haben selbst einen CEU-Abschluss.
Doch ideologisch unangepasste Institutionen sind ein Dorn im Auge Orbáns, seit er seine liberalen Wurzeln gegen das Projekt des „illiberalen Staats“ eintauschte. Staatliche Universitäten nahm Orbán durch direkte Eingriffe in Personal, Finanzierung und Regularien an die kurze Leine. Die privat finanzierte CEU vertrieb der ungarische Premier per Gesetz aus Budapest nach Wien. 2017 mahnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, man dürfe nicht „schweigen, wenn der Zivilgesellschaft, selbst der Wissenschaft – wie jetzt an der Central European University in Budapest – die Luft zum Atmen genommen werden soll“.
Ganz anderer Meinung ist man an der Berliner BWL-Elitehochschule ESMT, in deren Aufsichtsrat Vertreterinnen einiger der wichtigsten deutschen Unternehmen wie Siemens, Deutsche Bank, Mercedes und Allianz sitzen. Nicht nur schweigt man an der ESMT zu den Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit in Ungarn – man legitimiert Orbáns Kronjuwel MCC mit einer umfassenden Partnerschaft. ESMT-Präsident Jörg Rocholl, der auch als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Finanzministeriums fungiert, feierte im Juni 2023 die Kooperationsvereinbarung im Rahmen einer Zeremonie in Budapest an der Seite des MCC-Kuratoriumsvorsitzenden Orbán. Die deutsche Botschafterin in Ungarn, Julia Gross, gab – die Mahnungen des Bundespräsidenten ebenfalls in den Wind schlagend – ihren Segen.
Die finanziellen Details der Vereinbarung zwischen ESMT und dem MCC sind geheim. Die Kooperation umfasst 20 Studienplätze an der ESMT für MCC-Stipendiaten sowie Gastaufenthalte für MCC-Forscherinnen und einen MCC-Stiftungslehrstuhl („MCC-Professur für Strategie“). Da dürfte eine erkleckliche Summe zusammenkommen, die von Orbáns Elitenschmiede an die ESMT überwiesen wird. Im Gegenzug erhält MCC-Generaldirektor Zoltán Szalai einen Sitz im Internationalen Beirat der ESMT, der von Mercedes-Chef Ola Källenius geleitet wird. Szalai schwärmt davon, dass ESMT und MCC sehr ähnlich über Bildung und akademisches Leben dächten. Und in der Tat: Das MCC lässt verschiedene Meinungen zu und lädt zu Veranstaltungen auch kritische Stimmen ein. Die beiden Orbáns sind zu klug, um die Stipendiaten nur mit neurechter Kost zu bewirten. Die internationale Vernetzung der neuen Rechten ist jedoch ein wichtiger Strang der MCC-Arbeit. Letzte Woche war Donald Trump Jr. zu Gast, davor Tucker Carlson und Yair Netanyahu, der rechtsradikale Sohn des israelischen Premierministers. MCC-Kuratoriumsvorsitzender Orbán veröffentlichte letzte Woche stolz ein gemeinsames Foto mit Jordan Bardella, dem Premierministerkandidaten der rechtsextremen französischen Le Pen-Partei Rassemblement National, und wünschte ihm viel Erfolg bei den anstehenden Parlamentswahlen. Und beim Eröffnungsspiel der diesjährigen Fußball-EM ließ sich Permier Orbán mit AfD-Chef Tino Chrupalla ablichten. All dies legitimieren die ESMT und die sie unterstützenden Unternehmen durch die Partnerschaft mit Orbáns MCC.
Für die ESMT-Führung gibt es nur einen Weg, um Glaubwürdigkeit darüber zurückzugewinnen, dass man in der Tat wie selbst behauptet für ein „offenes, demokratisches Weltbild“ steht. ESMT-Präsident Rocholl sollte die Partnerschaft mit dem MCC unverzüglich beenden und alle bereits erhaltenen Gelder für die Unterstützung unabhängiger Medien und Zivilgesellschaft in Ungarn spenden. Orbáns Besuch ist dafür ein guter Anlass.
A version of this commentary first appeared on June 20, 2024, in the Tagesspiegel.