Deutschland setzt sich massiven Risiken aus
Am vergangenen Dienstag veröffentlichten die Bundesnetzagentur und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) den Entwurf für die Sicherheitsanforderungen für den Bau der deutschen 5G-Mobilfunknetzte. Der neue Mobilfunkstandard wird die Zukunft unserer Gesellschaft nachhaltig mitgestalten: Von der Mobilität, über die Gesundheitsvorsorge, die digitale Bürokratie und die Industrieproduktion, alles wird autonomer, vernetzter, schneller.
Der Sicherheitskatalog war im politischen Berlin lange erwartet worden und enttäuscht nun umso mehr. Es fehlen klare Grenzen für den Einsatz von Technologie chinesischer Hochrisikoanbieter wie Huawei und ZTE. Dies entspricht allem Anschein nach den Wünschen von Kanzlerin Angela Merkel, die sich über die gravierenden Bedenken aus Innen- wie Außenministerium sowie den Geheimdiensten hinweggesetzt hat.
Hersteller, die in Deutschland Komponenten für den 5G-Ausbau liefern wollen, müssen nun künftig lediglich eine „Erklärung der Vertrauenswürdigkeit“ gegenüber den Netzbetreibern unterschreiben. Ihre Produkte können dann nach der Zertifizierung durch das BSI eingesetzt werden.
Was nach Rückversicherung klingt, ist bei genauem Hinsehen blanker Hohn. Sich für vertrauenswürdig erklären, ist eben nicht dasselbe, wie vertrauenswürdig sein. Papier ist geduldig und Vertrauen kein technischer Maßstab. Huawei ist in China enger Partner der Kommunistischen Partei bei der Umsetzung der menschenrechtsverachtenden Überwachungsmaßnahmen in der Provinz Xinjiang. Das Unternehmen muss sich den Maßgaben der chinesischen Führung in Peking unterordnen. In China – und auch anderenorts. Damit setzt sich Deutschland massiven Risiken aus.
Im Konfliktfall mit dem Westen könnte Huawei nicht nur theoretisch zu Sabotagehandlungen an deutschen Netzen gezwungen werden. Das Kanzleramt fügt mit seinem Vorgehen Deutschland sicherheitspolitisch, wirtschaftlich und diplomatisch Schaden zu. Vor allem aber ist dies ein wiederholter Alleingang innerhalb Europas. Deutschlands Sonderweg spaltet Europa – und erntet Kopfschütteln von Stockholm bis Prag. Berlin wirkt schwach und isoliert. Im Zweifelsfall weiß man dies in Peking auch künftig zu nutzen.
Im Kanzleramt ist man anscheinend besorgt, dass ein De-Facto-Ausschluss von Huawei und ZTE zu Repressalien Pekings gegen deutsche Unternehmen wie Volkswagen, Daimler und Siemens führen könnte. Diese Sorge ist nicht unbegründet, Peking hat genau dies bereits in anderen Fällen getan und untergräbt damit jeden Versuch Huaweis sich als unabhängiger Akteur darzustellen, handlungsleitend darf dies allerdings angesichts der massiven Sicherheitsbedenken nicht sein. Die beauftragten Behörden, allen voran das BSI, sind mit der Aufgabe einer echten Bewertung jenseits der technischen Risiken maßlos überfordert.
Präsident Arne Schönbohm sieht keinen qualitativen Unterschied zwischen dem rechtlichen Umfeld Huaweis und dem westlicher Unternehmen. Er argumentiert, dass es für die Risikoprüfung vollkommen egal sei, „ob das Bauteil aus China, aus Korea oder aus Schweden“ komme. Das sieht man in den meisten Hauptstädten Europas anders. Ein Ergebnis der EU-weiten Risikobewertung, dessen finaler Bericht fast zeitgleich zum deutschen Sicherheitskatalog erschien, plädiert sehr deutlich für größte Vorsicht im Umgang mit Anbietern aus Ländern in denen keine „demokratische Kontrolle“ vorhanden ist.
Jenseits der Sicherheitsrisiken ist es für Deutschland auch aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll, auf europäische Technologie zu setzen. Mit Ericsson und Nokia ist Europa Heimat für gleich zwei der drei führenden 5G-Anbieter. Beide sind technisch mehr als gleichwertig, profitieren aber eben nicht wie Huawei von immenser staatlicher Unterstützung und privilegiertem Zugang zu ihrem Heimatmarkt.
Es ist absurd, dass es dem boomenden amerikanischen Geschäft zu verdanken ist, dass die beiden Konzerne überhaupt noch so gut dastehen. Immer wieder wird gerade in Deutschland das Preisargument gemacht. Huawei sei einfach gut und günstig. Dies greift zu kurz. Nokia und Ericsson können den europäischen Markt beliefern, die Mehrkosten halten sich dafür laut aktueller Studien in sehr moderaten Grenzen.
Unklar ist hingegen, wie sich die Preise von Huawei entwickeln werden. Langfristig betrachtet ist klar: Je stärker Huawei den globalen Markt dominiert, desto leichter wird es Preise diktieren. Gleichzeitig könnte Huawei kurzfristig in Lieferschwierigkeiten geraten: Sollten die Vereinigten Staaten im November ernst machen und Huawei den Zugang zu Bauteilen von amerikanischen Zulieferern gänzlich verschließen, wird es erst einmal eng für den chinesischen Konzern. Ausgang derzeit ungewiss.
Unter diesen Bedingungen jahrzehntelange Abhängigkeiten zu schaffen, in dem gemäß der neuen Sicherheitsanforderungen bis zu zwei Drittel der deutschen Netze von Huawei gebaut werden könnten, ist fahrlässig. Zur Farce wird dann auch das regelmäßige Beschwören technologischer Souveränität, die Europa anstreben müsse, wie es Wirtschaftsminister Peter Altmaier betont. Irgendwann müsste man dann einmal anfangen, die Grundlagen dafür zu legen.
Mit der Aktualisierung des Sicherheitskatalogs ist noch keine finale Entscheidung getroffen. Der Bundestag ist im nächsten Schritt für eine Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zuständig. Schon hier könnte sich das Vorgehen der Kanzlerin rächen, denn selbst ihrer eigenen Fraktion regt sich lautstarker Widerstand.
Viele Spitzenpolitiker von Koalition wie Opposition zeigten sich wenig erfreut. SPD-Außenpolitiker Nils Schmid argumentierte: „Es ist ein schwerer Fehler, Huawei ins 5G-Netz zu integrieren“. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte, dass es sich um eine Frage der nationalen Sicherheit handele, die von Verfassungsrang sei. Auch FPD und Grüne äußerten sich kritisch.
Eine überparteiliche Mehrheit kann die Initiative ergreifen und klare gesetzliche Anforderungen zur politischen Risikoprüfung formulieren, die zum Ausschluss von Hochrisikoanbietern führen. Die Novelle des Telekommunikationsgesetzes bietet hierfür den geeigneten Rahmen. Die Ankündigung solcher Anforderungen seitens des Gesetzgebers würde sofort die Entscheidungen der Netzwerkbetreiber beeinflussen. Die Parlamentarier müssen es nur wollen.
This commentary was originally published by Frankfurter Allgemeine Zeitung on October 22, 2019.