„Brasilien über alles“
Im Jahr 1993 forderte Jair Bolsonaro, ein damals 38-jähriger brasilianischer Abgeordneter, in einer Rede vor dem Parlament das Ende des damals erst acht Jahre alten demokratischen Experiments: „Ich bin für eine Diktatur. Wir werden niemals die großen nationalen Herausforderungen mit dieser unverantwortlichen Demokratie lösen“. Am Sonntag wählten die Brasilianer den Ex-Fallschirmjäger mit 55% der Stimmen zum Präsidenten der viertgrößten Demokratie der Welt. Dieser hat sich seit seiner Brandrede vor 25 Jahren beim Marsch durch neun Parteimitgliedschaften weiter radikalisiert. Der Demokratie steht die größte Belastungsprobe nach dem Ende der Militärdiktatur 1985 bevor. Und auch wenn das Hauptaugenmerk Bolsonaros der Innenpolitik gilt, müssen sich Brasiliens Partner auf eine neue Außenpolitik einstellen.
Bolsonaro verspricht eine harte Hand, einfache Antworten, klare Feindbilder. Während Brasiliens politische Elite im Korruptionssumpf versank, konnte sich Bolsonaro als Saubermann inszenieren. Ihm konnte bislang keine Käuflichkeit nachgewiesen werden. Anfang des Jahres kam lediglich der Vorwurf der Zweckentfremdung öffentlicher Mittel für Scheinangestellte in seinem Abgeordnetenbüro auf. Dass er bislang keinerlei Führungserfahrung in Ämtern außer der Rolle als Abgeordneter gesammelt hat, erhöhte in den Augen vieler nur seine Glaubwürdigkeit. Sie trauen Bolsonaro zu, dass er dort eine Trendwende einleitet, wo die bisherigen Eliten gerade während der jüngsten brutalen Rezession am stärksten versagt haben: bei der öffentlichen Sicherheit.
2017 allein verzeichnete Brasilien 63880 Tote aus Gewaltverbrechen (pro Einwohner sind das 11 Mal mehr als in Deutschland). Bolsonaro verspricht, das Militär gegen Kriminelle einzusetzen und Sicherheitskräften freie Hand beim Töten zu geben. Vorbild ist der philippinische Präsident Duterte, seit dessen Amtsantritt 2016 je nach Schätzung zwischen 4500 und 12000 Bürger in Operationen der Sicherheitskräfte getötet wurden. Eine ähnliche Welle steht Brasilien unter Bolsonaro bevor. Teile von Brasiliens Militär sehen den Einsatz im Inneren mit Skepsis, aber sie werden von Bolsonaro in die Pflicht genommen werden, auch durch Ernennung von vier bis fünf Generälen auf zentrale Ministerposten.
Er will Trumps „großartiger Verbündeter“ werden
Der neue Präsident bringt das politische Ethos der öffentlich nicht aufgearbeiteten Militärdiktatur zurück. Er glorifiziert den 2015 verstorbenen Ex-Militärgeheimdienstchef Ustra, einen der gefürchtetsten Folterer der Militärdiktatur. Bolsonaros Anhänger feierten mit „Ustra lebt“-Spruchbändern. „Brasil, ame‑o ou deixe‑o” hieß es während der Junta-Jahre. „Liebe Brasilien oder verlasse es“. „Gefängnis oder Exil“ ist die Alternative, die Bolsonaro seinen politischen Gegnern androht. Dazu zählt er die gesamte von ihm als Kommunisten gebrandmarkte Arbeiterpartei, welche von 2003 – 2016 den Präsidenten stellte, sowie Menschenrechts- und Umweltorganisationen. Bolsonaro und seine Anhänger hetzen gegen Minderheiten. Während des Wahlkampfs kam es vermehrt zu Angriffen gegen Schwule und Transsexuelle.
„Brasilien über alles“ („Brasil acima de tudo“) ist Bolsonaros nationalistischer Slogan. Er kündigte an, ein „großartiger Verbündeter“ Trumps zu sein. Das bedeutet einen außenpolitischen Kurswechsel. Unter Lula und Dilma Rousseff, den Präsidenten aus der Arbeiterpartei, investierte Brasilien stark in die Brics-Gruppe mit China, Indien, Südafrika und Russland und gab sich als Unterstützer der UN und internationaler Abkommen. Bolsonaro wettert gegen die „Kommunisten“ bei der UN und das Pariser Klimabkommen, welches brasilianische Souveränität unterhöhle. Er sagte, er wolle das Außenministerium von einer „ideologiegetriebenen Außenpolitik“ befreien.
Bolsonaro portraitiert die Vorgängerregierungen der Arbeiterpartei als bedingungslose Unterstützer der „Kommunisten“ in Venezuela. Hier will er einen radikalen Wandel einleiten. Im Bundesstaat mit den meisten venezuelanischen Flüchtlingen versprach Bolsonaro, „alles Nötige“ zu tun, um die Maduro-Regierung in Venezuela „zu besiegen“. Er könnte eine offene oder verdeckte Militäraktion Trumps in Lateinamerikas größtem Krisenstaat unterstützen. Mit außenpolitischen Abenteuern könnte Bolsonaro Ablenkungsmanöver versuchen, falls sich unter ihm die Wirtschaftslage nicht verbessert.
Wie sieht das Verhältnis zu China, zu den Brics-Staaten aus?
Spannend werden die Beziehungen zu China, gegenwärtig Brasiliens wichtigster Handels- und Investitionspartner. 2019 richtet Brasilien den Brics-Gipfel aus. Dann wird Bolsonaro Farbe bekennen müssen, wie er zu China und Brics steht. Im Wahlkampf besuchte Bolsonaro als erster brasilianischer Präsidentschaftskandidat seit 1970 Taiwan. Er wetterte dagegen, dass China „nicht in Brasilien kaufe, sondern Brasilien kaufe“. Der neue Präsident ist dagegen, dass China Land in Brasilien kontrolliert oder strategische Industrien besitzt. Eine davon ist der Bergbau. Brasilien ist etwa für 90 Prozent der Weltproduktion von Niob, einem seltenen Metall, das superhart und superleitend ist und für zentrale Industrien wichtig ist.
Bolsonaro wandte sich im Wahlkampf dagegen, dass ein chinesisches Unternehmen eine Niob-Mine besitzt. Die chinesische Führung ist angesichts der feindlichen Töne offenbar alarmiert. In den letzten Wochen trafen sich chinesische Diplomaten mit Paulo Guedes, der Bolsonaro als „Superminister“ für Wirtschaft und Finanzen dienen wird, und boten ihm eine Reise nach China an, um sein Verständnis des Landes zu vertiefen. Sie trafen sich ebenfalls mit Onyx Lorenzoni, dem Wahlkampfmanager Bolsonaros und zukünftigen Stabschef. Die Agrar- und Bergbaulobby, die Bolsonaro stark unterstützt, wird sich ebenfalls gegen einen zu starken anti-chinesischen Kurs zur Wehr setzen.
Hu Xijin, Chinas globaler Chefpropagandist, ist deshalb auch unbesorgt. Er meint, dass Bolsonaro eine „chinafreundliche Politik verfolgen werden, egal was er während des Wahlkampfs gesagt hat. China ist Hauptabnehmer von brasilianischem Soja und Eisenerz. Eine an Trump angelehnte China-Politik ist nicht im Interesse seiner Regierung“. Gleichzeitig, so argumentiert der deutsch-brasilianische Forscher Oliver Stuenkel, beweise die Wahl Bolsonaros aus Sicht der chinesischen Führung die Schwäche des demokratischen Modells. Jemand wie Bolsonaro, so hätten ihm chinesische Gesprächspartner bedeutet, würde es in China „nicht einmal bis zum Dorfvorsteher schaffen“.
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This commentary was originally published by Tagesspiegel Causa on October 31, 2018.