Unsere globale Zukunft braucht integrative Ideen
Dank der rasanten Fortschritte in den Bereichen Technologie, Transport und Kommunikation ist unsere Welt vernetzter als je zuvor. Gleichzeitig war das weltpolitische Klima nach Ende des Kalten Krieges noch nie so volatil wie derzeit. Die Geschwindigkeit des technologischen Wandels ist ein wichtiger Grund für diese Entwicklung. Der Aufstieg nicht-westlicher Mächte wie Brasilien, China, Indien, Russland und Südafrika (die sogenannten BRICS-Staaten) ist ein weiterer Treiber dieser Fragmentierung. Das Vertrauen in die liberale Demokratie, in westlich dominierte Institutionen und in die freie Marktwirtschaft hat im letzten Jahrzehnt stark abgenommen.
Mit ihrem wachsenden wirtschaftlichen Einfluss werden aufstrebende, nicht-westliche Staaten eine zunehmend aktive Rolle bei der Gestaltung globaler Institutionen und Regeln spielen. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Vereinigten Staaten aus ihrer globalen Führungsrolle zunehmend zurückziehen. Die Entscheidung von US-Präsident Trump, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, ist das bisher deutlichste Zeichen für die neue amerikanische Zurückhaltung bei der Verteidigung der globalen Ordnung. Relativ neue Organisationen wie die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank, die New Development Bank oder Chinas „Belt and Road“-Initiative schicken sich bereits an, das Vakuum zu füllen, indem sie Alternativen zu westlichen Modellen von Wirtschaftswachstum und Infrastrukturausbau anbieten. Aufstrebende Mächte wie China oder Brasilien haben ihr eigenes Verständnis von Normen wie Intervention, Menschenrechten, Souveränität und Selbstbestimmung entwickelt und vermarkten dieses mit wachsendem Selbstbewusstsein.
Vor diesem Hintergrund wird es in den kommenden Jahren alles andere als einfach sein, in Fragen von globaler Bedeutung voranzukommen. Effektive internationale Zusammenarbeit ist nach wie vor entscheidend, um globale Krisen wie den Klimawandel oder Migration zu meistern. Die seit 1945 westlich dominierten Institutionen werden jedoch nicht ausreichen, um auf diese Herausforderungen zu reagieren, zumindest nicht in ihrer heutigen Form. Politiker und Entscheidungsträger in den Industrie- und Entwicklungsländern müssen ein besseres Verständnis für die Unsicherheiten und Ziele unterschiedlicher Regierungen sowie nichtstaatlicher Akteure entwickeln. Das erfordert Investitionen in globale Plattformen, die persönliche Interaktion und Debatten zu umstrittenen Themen ermöglichen. Der derzeitige Stillstand in vielen „alten” Institutionen beweist, wie wichtig das Experimentieren mit neuen Formaten in einer größeren Anzahl von Ländern und sektorübergreifend ist.
Der Global Governance Futures Ansatz
Mehr Austausch und Diskussion zwischen Akteuren unterschiedlicher beruflicher und nationaler Herkunft sind ein wichtiger Anfang für diesen Prozess. Eine solche Plattform muss die kollektive Energie der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzen, um bei der Arbeit an globalen Fragen über etabliertes Wissen hinauszugehen und alternative Annahmen zu gesellschaftlichem Wandel auf mehreren Ebenen zu verbinden, einschließlich wirtschaftlicher, gesellschaftspolitischer und technologischer Entwicklungen.
Das Global Governance Futures – Robert Bosch Foundation Multilateral Dialogues (GGF) Fellowship Programm bietet eine solche Plattform für junge Berufstätige, die sich aktiv an der Gestaltung der Welt von morgen beteiligen wollen. Die bereits fünfte Runde des Programms bringt 27 außergewöhnliche Persönlichkeiten (davon je drei Fellows aus Brasilien, China, Frankreich, Deutschland, Indien, Indonesien, Japan, Südafrika und den Vereinigten Staaten) zusammen, um gemeinsam in die Zukunft zu blicken und mögliche Zukunftsszenarien für das Jahr 2030 zu entwerfen. Dazu wenden die Fellows die Methodik des Scenario Planning auf länder- und sektorübergreifende Herausforderungen an.
Die Methode GGF ermöglicht es den Fellows, an einem gemeinsamen Experiment teilzunehmen: Wie interpretieren Menschen aus verschiedenen Ländern, Kulturen und Fachrichtungen, die nicht nur unterschiedliche Berufe, sondern womöglich auch grundlegend unterschiedliche Wertvorstellungen haben, Themen von globaler Bedeutung? Werden sie aneinander geraten oder sich zusammentun und zu gemeinsamen Lösungen finden?
Wir bei GGF glauben, dass es sich auszahlt, Zeit und Energie in das Verständnis von konkurrierenden Interessen und Werten zu investieren, um Krisenresistenz und bessere Möglichkeiten zur Bewältigung globaler Herausforderungen über Länder- und Sektorengrenzen hinweg zu schaffen. In einer schnelllebigen und multipolaren Welt werden sich internationale Organisationen weiterhin nur langsam anpassen und auf Krisen reagieren, geschweige denn kreative Antworten finden. Um dies auszugleichen und für die immer komplexer werdenden Herausforderungen besser gerüstet zu sein, muss die Politik ihre festgefahrene Herangehensweise an strategische Planung, die ein unveränderliches Umfeld voraussetzt und nur die wahrscheinlichste Zukunft berücksichtigt, überwinden. Andernfalls werden Behörden und Institutionen nicht in der Lage sein, mit Veränderungen in ihrer Umgebung umzugehen. Im Rahmen der GGF-Methode fordern wir unsere Fellows dazu auf, in ihren Überlegungen zu globalen Themen verschiedene Szenarien zu berücksichtigen. Dadurch sind sie in der Lage, mehrere potenzielle Zukunftsperspektiven gleichzeitig zu ergründen, Frühwarnsignale zu erarbeiten und neue, dynamischere Wege bei der Bewältigung von Ungewissheit einzuschlagen.
Das GGF-Programm bietet unseren Fellows einen intellektuellen und interkulturellen Rahmen, um sich untereinander und mit führenden Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sowie aus internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen auszutauschen. Im Laufe der Jahre 2018 und 2019 werden die 27 Fellows zu einer Reihe von Treffen in fünf Ländern zusammenkommen, um gemeinsam nach neuen Wegen zu suchen, wie die globale Politik transnationale Herausforderungen besser bewältigen kann. In dieser Runde, GGF 2030, werden sie sich dabei auf drei Kernthemen konzentrieren: die Zukunft der internationalen Ordnung, globale Herausforderungen im Bereich Migration und Flüchtlinge sowie die Rolle von Städten in globalen Steuerungsprozessen im Jahr 2030 und darüber hinaus.
In moderierten Arbeitsgruppen werden unsere Fellows verschiedene Sichtweisen und Auffassungen zu den Themen von GGF 2030 erörtern. Sie werden an strukturierten Diskussionen teilnehmen, intensive, aber respektvolle Debatten führen und sich mit unterschiedlichen normativen Überzeugungen über die Form und Rolle von Global Governance auseinandersetzen. Dabei werden sie auf das Wissen von Experten aus den neun GGF-Ländern zurückgreifen, interaktive Präsentationen halten und interessante Wege finden, um ihre Erkenntnisse zu Außen- und Innenpolitik mit der breiten Öffentlichkeit in ihren jeweiligen Ländern zu teilen. Der GGF-Prozess erfasst die einzigartigen Stärken, Erfahrungen und Perspektiven jedes einzelnen Fellows, während alle auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten.
Ein integrativer Marktplatz der Ideen
Wir sind fest davon überzeugt, dass Lösungen für globale Herausforderungen nur dann entstehen können, wenn verschiedene Akteure in der Lage sind zu kooperieren und gegensätzliche Interessen zu verhandeln. Voraussetzung dafür ist ein Mindestmaß an Vertrauen. In diesem Sinne fördert GGF berufliche und persönliche Beziehungen zwischen Nachwuchskräften aus Ländern, die auf dem globalen Parkett nicht nur Konkurrenten sind, sondern sich auch in Bezug auf Sprache, Kultur, politische Systeme und wirtschaftliche Entwicklung stark unterscheiden.
Der Ansatz des strukturierten Dialogs, den wir bei GGF verwenden, schafft einen Rahmen, innerhalb dessen die Fellows konkurrierende Meinungen zu globalen Ordnungsmechanismen identifizieren und ansprechen können. Noch wichtiger ist, dass die Fellows ihre Erkenntnisse auch nach Abschluss des Programms in ihre Entscheidungen als künftige Führungskräfte in ihren jeweiligen Ländern und Berufen einfließen lassen.
Wir werden die Website des Programms und das Global Policy Journal nutzen, um Beiträge, Interviews und Podcasts zu veröffentlichen, die von oder mit unseren Fellows produziert wurden. Darüber hinaus werden die GGF 2030 Fellows Berichte zu den von ihnen entwickelten Szenarien verfassen, die mögliche Entwicklungen in den jeweiligen Themenbereichen für das nächste Jahrzehnt skizzieren. Auf Grundlage dieser Szenarien identifizieren und gewichten sie sowohl Chancen als auch Risiken und unterbreiten ihre politischen Ideen verschiedenen Akteuren und Institutionen, um sich auf dieser Basis für positive Ergebnisse einzusetzen.
Eines ist klar: In unserer hochgradig vernetzten Welt können sich einzelne Länder nicht in ihr Schneckenhaus zurückziehen und die Bedrohungen, denen wir alle als globale Gemeinschaft gegenüberstehen, ignorieren. Grenzüberschreitende Herausforderungen erfordern innovative Lösungen, die durch einen Marktplatz der Ideen hervorgebracht werden, der die globalisierte Welt widerspiegelt. Wir müssen neue Wege für internationale Zusammenarbeit finden. Das Global Governance Futures Programm und unsere Fellows sind bereit, ihren Beitrag dazu zu leisten.
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An English version of this commentary first appeared in the Global Policy Journal on February 28, 2018.