Der Bundespräsident orakelt von einer „neuen Art von Krieg“. Da liegt für einige der Gedanke einer neuen EU-weiten Truppe von Anti-Terrorspezialkräften nah, sozusagen einer schnellen Eingreiftruppe. Doch solche Gedanken gehen am wahren Problem vorbei. Wenn ein Zugriff vonnöten ist, mangelt es in Europa nicht an Spezialkräften wie den deutschen SEKs, der GSG9 oder der französischen Sondereinheit RAID. Die Attentate in Paris haben ganz andere Schwächen offen gelegt: Den Behörden bekannte islamistische Extremisten konnten unentdeckt eine Anschlagsserie koordinieren und sich dabei problemlos innerhalb des Schengen-Raumes (etwa zwischen Belgien und Frankreich) sowie zwischen den „IS“-kontrollierten Gebieten und Europa hin und her bewegen.
Um diese Schwächen auszumerzen, braucht Europa eine neue Form von Anti-Terrorkooperation. Dafür müssen zunächst die Ressourcen der Sicherheitskräfte in den jeweiligen Mitgliedsländern drastisch wachsen. Allein in Deutschland gelten 1000 Personen als Teil des „islamistisch-terroristischen“ Spektrums. 427 von ihnen betrachten die Behörden als „Gefährder“, also bereit, Anschläge zu verüben.
Laut Innenminister Thomas de Maizière ist deren „vollständige Überwachung aus rechtlichen Gründen nicht ohne Weiteres möglich und bindet viele Ressourcen“. Eine unregelmäßige Beobachtung bei besonderen Anlässen könne „wirkungsvoller“ sein. Undenkbar, dass dieser Satz Bestand hat, wenn in Deutschland der erste Anschlag von einem Extremisten verübt wird, den die Behörden zwar kannten aber nur unregelmäßig beobachteten.
Umso wichtiger ist es, jetzt die rechtlichen und personellen Grundlagen zu schaffen, um eine lückenlose Überwachung sogenannter „Gefährder“ zu gewährleisten. Auch gilt es, die Frage des Einsatzes von elektronischen Fußfesseln und auch die Inhaftierung von Gefährdern unvoreingenommen zu diskutieren. Die verbindliche Entscheidung über den Einsatz dieser Mittel sollte man schon heute, nicht in der aufgeheizten Stimmung nach einem Anschlag in Deutschland treffen.
Doch bessere deutsche Polizeiarbeit reicht nicht aus. Die EU-Staaten müssen sich auf einheitliche Standards bei der Überwachung von Extremisten verpflichten und die Umsetzung untereinander strenger kontrollieren. Denn die Anti-Terrorkooperation in Europa ist nur so stark wie die schwächsten Glieder der Kette. Heute gibt es davon allzu viele: überforderte nationale Behörden (wie in Belgien), ungesicherte Außengrenzen, nicht zusammengeführte nationale Datenbanken. Terroristen bewegen sich mühelos innerhalb Europas. Die Arbeit der Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden ist hingegen nicht einmal ansatzweise integriert. Auch um die Reisefreiheit innerhalb Schengens zu retten, müssen Europas Regierungen dieses Missverhältnis schnell korrigieren.
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This op-ed originally ran on November 27, 2015, in Wirtschaftswoche.
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