Vereint gegen Chinas Willkür
Kanadas Außenministerin Chrystia Freeland will in Davos um diplomatische Unterstützung für ihr Land werben. Im Dezember wurden zwei Kanadier in China willkürlich in Haft genommen, letzte Woche ein weiterer Kanadier wegen eines Drogendeliktes zum Tode verurteilt. Es handelt sich um Vergeltungsmaßnahmen der chinesischen Staats- und Parteiführung für die Verhaftung der Huawei-Topmanagerin Meng Wanzhou in Kanada auf Ersuchen der Vereinigten Staaten. Meng gehört zur Elite Chinas, ihr Vater ist der Gründer des Telekommunikationsriesen, die Familie ist eng verbunden mit der seit 1949 in China herrschenden Kommunistischen Partei (KP).
Chinas Botschafter in Ottawa hat Freeland letzte Woche unmissverständlich gewarnt, das Thema in Davos auf die Agenda zu setzten. „Dies würde die Spannungen nur verschärfen. Davos ist für wirtschaftliche Themen bestimmt. Wir hoffen, dass es sich Kanada zweimal überlegt, bevor es irgendwelche Schritte unternimmt“, meinte Lu Shaye. Um sicherzugehen, dass die Botschaft ankommt, bezichtigte Lu Kanada der „Hinterhältigkeit“ und warnte vor einem „Nachspiel“, falls Ottawa Huawei vom Aufbau des 5G-Netzes ausschließen sollte.
Noch nie wurden gegen ein Nato-Mitglied vonseiten des chinesischen Parteistaates solch rabiate Drohungen ausgesprochen. Und mit der willkürlichen Verhaftung des NGO-Mitarbeiters Michael Kovrig und des Nordkorea-Beraters Michael Spavor führt Peking die Geiselnahme westlicher Bürger als Instrument seiner Machtpolitik ein. Die Regierung in Peking will ein Exempel statuieren: Jedes Land, das sich China in den Weg stellt, wird die volle Härte spüren, bis es einknickt. Das Land scheint sich dabei darauf zu verlassen, dass Kanadas Verbündete die eigenen guten Beziehungen und wirtschaftlichen Interessen mit Peking über Solidarität mit Ottawa stellen und die beispiellose Brutalität hinnehmen.
Bundesregierung hat besondere Rolle
Kanadas Verbündete sollten dem einen Strich durch die Rechnung machen. Die richtige Antwort auf die schroffen Drohungen und Vergeltungsmaßnahmen ist nicht stille Diplomatie, sondern eine öffentlichkeitswirksame Solidarisierung. Das Weltwirtschaftsforum sollte hierfür den Auftakt bilden. Dies würde Chinas KP-Elite deutlich machen: die Drohungen gegenüber Kanada haben genau den gegenteiligen Effekt.
Der Bundesregierung kommt hier eine besondere Rolle zu. Für Chinas Herrscher ist Deutschland neben Washington das wichtigste Land in der westlichen Allianz. Angesichts der zunehmenden Spannungen mit den USA hat China in den letzten Monaten viel Energie investiert, Deutschland auf seine Seite zu ziehen. Dazu ist man deutschen Entscheidungsträgern und Unternehmen entgegengekommen. Dies wurde etwa beim Besuch des Bundespräsidenten im Dezember und von Finanzminister Olaf Scholz letzte Woche deutlich. Der Finanzminister erhielt die Zusage, dass deutsche Banken und Versicherer Zugang zum chinesischen Markt bekommen. BASF etwa bekam grünes Licht für ein Projekt im Umfang von neun Milliarden Euro in Guangdong. Es sollte klar werden, dass Deutschland sich damit nicht kaufen lässt.
Die Bundesregierung muss sich unmissverständlich an die Seite Kanadas stellen und über die Stellungnahme des Außenministeriums von Ende Dezember hinausgehen. In dieser zeigte man sich besorgt, “dass bei den Verhaftungen der beiden kanadischen Staatsangehörigen in China politische Motive eine Rolle spielen könnten”. Gleichzeitig verteidigte die Regierung Kanada, das bei der Verhaftung Mengs „seinen internationalen Verpflichtungen“ nachgekommen sei. Das war zwar ein erster richtiger Schritt – doch scheinbar hat er keinen Eindruck in Peking hinterlassen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bislang jede Stellungnahme vermieden. Bei ihrem Davos-Auftritt kann sie nun deutlich Stellung beziehen. Die Kanzlerin sollte die Geiselnahme der beiden Kanadier als solche benennen und deren unverzügliche Freilassung fordern. Gleichzeitig sollte sie die Drohungen gegen Kanada verurteilen und deutlich machen, dass Deutschland fest an der Seite Kanadas steht und dafür auch eine Verschlechterung der Beziehungen zu Peking in Kauf zu nehmen bereit ist, sofern dort nicht von der Droh- und Vergeltungspolitik Abstand genommen wird.
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This commentary was originally published by ZEIT ONLINE on January 21, 2018.