Reformiert den UN-Menschenrechtsrat
Die Erwartungen waren groß als vor zehn Jahren die Reformbemühungen des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan in der Ablösung der dysfunktionalen Menschenrechtskommission durch einen neuen, schlankeren Rat gipfelten. Man könnte sagen, sie waren zu groß, um nach einer zehnjährigen Bilanz nicht enttäuscht zu werden. Zwar wurde die Mitgliedschaft reformiert, doch werden weiter Staaten wie Saudi-Arabien, China oder Russland in den Rat gewählt, obwohl deren Menschenrechtslage zu den schlechtesten weltweit zählen. Auch die Auswahl der Ländersituationen, zu denen der Rat sich äußert, ist noch von Machtspielen geprägt.
Erstmals gelang repressiven Staaten sogar der kühne Vorstoß, eine vom Menschenrechtsrat bereits beschlossene Resolution in der Generalversammlung so lange zu vertagen, bis sie vergangenes Jahr ohne endgültige Verabschiedung von der Tagesordnung verschwand. Die „Resolution 24/24“ sollte eine Anlaufstelle für Menschen schaffen, die wegen ihrer Zusammenarbeit mit den UN-Menschenrechtsgremien Repressalien durch ihren Heimatstaat erfahren. Diese Stelle wurde folglich nie eingerichtet.
Dass es zu einem derart erfolgreichen Aufbegehren gegen einen Beschluss des Menschenrechtsrats kommen konnte, lag am mangelnden Verhandlungsgeschick der Unterstützerstaaten gegenüber dem massiven Druck Russlands auf die afrikanische Staatengruppe, sich gegen die Resolution zu formieren. Seitens der EU war es ein folgenreicher Fehler, ausgerechnet Ungarn das Einbringen einer politisch derart sensiblen Resolution zu überlassen. Der Präzedenzfall offenbart zudem auch eine der wesentlichen Schwachstellen des Rats. Er ist der Generalversammlung institutionell untergeordnet. Wenn diese seine Arbeit konterkariert, ist angesichts der globalen machtpolitischen Verschiebungen zu befürchten, dass seine Rolle in Zukunft schrumpfen wird.
Viele der Vorwürfe sind nicht neu. Dennoch wäre es falsch, deshalb fatalistisch zu werden. Wie wichtig die Arbeit des Menschenrechtsrats trotz allem ist, zeigt die Entschlossenheit gerade jener Menschen, die teils ihr Leben riskieren um nach Genf zu reisen und über die Menschenrechtslage in ihrem Land zu berichten. Diese Menschen zu schützen muss eine der zentralen Aufgaben von Mitgliedsstaaten des Menschenrechtsrats wie Deutschland sein.
Der Rat ist politischen Dynamiken unterworfen
Es ist dabei wichtig, sich keine Illusionen zu machen – der Rat ist ein von Staaten besetztes Gremium und wird immer politischen Dynamiken unterworfen sein. Was sind also realistische Schritte, die der zwischenstaatlichen Menschenrechtsarbeit zu mehr Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit verhelfen können? Der Schlüssel dazu liegt in der gezielten Schaffung politischer Anreize für Staaten, sich konstruktiv für Menschenrechte einzusetzen.
Es ist notwendig, nationale Zivilgesellschaften stärker einzubeziehen. Menschenrechtsdiplomatie nur von der internationalen Tribüne her zu kommentieren kann ohne eine Einbettung auf nationaler Ebene nur eingeschränkt wirken. Die Erfahrung zeigt, dass die Mobilisierung innerhalb der betroffenen Länder entscheidend ist, um die innenpolitischen Kosten einer menschenrechtswidrigen Strategie zu erhöhen und damit gemäßigte Regierungen zu einem Umschwenken zu bringen. Gerade diese werden benötigt, um den diplomatischen Spielraum einflussreicher autoritärer Staaten wie Russland und China zu verringern, die insbesondere im Süden oft um Verbündete werben um ihre Gegenstrategien zu legitimieren.
Zweitens liegt eines der größten Probleme des Menschenrechtsrats darin, dass die Anreize für Staaten gering sind, die verabschiedeten Forderungen auch umzusetzen. Es bedarf nicht viel Zynismus um zu erkennen, dass dies einer der Gründe ist, warum der Rat eine so überaus produktive Resolutionenmaschine ist: das Unterstützen von Initiativen ist eine billige Form, internationale Anerkennung zu gewinnen, ohne dass dem ein Realitätscheck folgen würde. Vieles könnte hier dadurch erreicht werden, dass gerade europäische Delegationen, die in der Regel eine vorbildliche Rolle in der internationalen Menschenrechtspolitik einnehmen, eine aktive Prüfung der Umsetzung ihrer Resolutionen betreiben. Dies würde idealerweise auch dazu führen, dass bei der Formulierung der Texte festgelegt wird, anhand welcher Kriterien ein Fortschritt gemessen werden kann.
Eine dritte, übergeordnete Maßnahme betrifft die Stärkung des Menschenrechtsrats in seiner Stellung innerhalb der Vereinten Nationen (UN). Obwohl Menschenrechte einen der drei in der UN-Charta festgelegten Grundpfeiler der Organisation darstellen, wurden nur die anderen beiden – Sicherheit und Entwicklung – mit einem eigenen Hauptorgan ausgestattet. Die Beförderung des Menschenrechtsrats zu einem autonomen Gremium würde ihn nicht nur gegen Angriffe wie im Fall der Resolution 24/24 immunisieren, sondern auch zu einem größeren politischen Gewicht für Menschenrechtsfragen weltweit beitragen.
Ein solcher Vorstoß wurde jüngst auch vom deutschen Diplomaten Joachim Rücker, dem letztjährigen Präsidenten des Menschenrechtsrats, mit Nachdruck vertreten. Dies bis 2021 wie angestrebt umzusetzen, erfordert eine entschlossene und überregional gut koordinierte Initiative, die die Erwartungen an den Rat neu beflügeln könnte. Im Jahr der deutschen Präsidentschaft haben sich Berliner Diplomaten viel Wohlwollen in Genfer Kreisen erarbeitet – Deutschland kann und sollte daher bei der Aufwertung des Gremiums eine führende Rolle übernehmen.
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This commentary was originally published by Frankfurter Rundschau on June 20, 2016. It is also available in English.