Commentary

Internationale Flüchtlingshilfe: Viele schaffen es schon ohne uns

Lehmann 2025 Migrant Workers OJ
Syrische Arbeiter auf Tomatenfarmen in Mafraq, Jordanien.  | Photo: Nadia Bseiso/ILO/flickr (CC BY-NC-ND 2.0)
25 Sep 2025

Zehn Jahre sind vergangen, seit dem Sommer der Migration“ in die Europäische Union und Deutschland. Zehn Jahre, in denen Menschen hier Fuß gefasst haben, auf der Arbeit, in der Schule, im Sportverein. Zehn Jahre auch, in denen Bund, Länder, Kommunen, aber auch Unternehmer und Zivilgesellschaft ganz konkret lernen mussten, wie sie mit dem Anstieg der Flucht-Migration umgehen. Einige der Beteiligten und Beobachter haben in den letzten Wochen Bilanz gezogen, wie gut das gelungen ist. 

Doch eine ehrliche Bilanz muss über Deutschland hinausweisen, muss auch die Rolle der Bundesregierung im internationalen Flüchtlingsschutz in den Blick nehmen. Dass Deutschland gute Chancen hat, das Amt des UN-Flüchtlingshochkommissars (UNHCR) zu besetzen, ist auch ein Zeichen des politischen Gewichts im Flüchtlingsschutz. Deutschland hat hier stark investiert, eigene Programme aufgelegt. Dennoch: Die Bundesregierung fällt gerade hinter das bereits Erreichte zurück. 

Humanitäre Hilfe im freien Fall 

Deutlich zu sehen ist das bei dem jüngst verabschiedeten Haushalt für 2025 und den nun laufenden Haushaltsverhandlungen für 2026. Die Bundesregierung wird die Gelder für humanitäre Hilfe gegenüber dem letzten Jahr mehr als die Hälfte kürzen – an keinem anderen Haushaltsposten wurde so stark gespart. Und für 2026 ist bislang keine Erhöhung geplant. Das kommt nicht nur in Zeiten eines Rekordhaushalts wegen der Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung in Deutschland. Es kommt auch zu einem Zeitpunkt, am dem das weltweite humanitäre System beispiellose Einschnitte vornimmt, weil auch andere Regierungen ihre freiwilligen Beiträge stutzen – allen voran die USA. Jüngst schlug UNHCR Alarm, die Organisation müsse in einem Jahr fast 1,5 Milliarden Dollar einsparen. Für mehr als elf Millionen geflüchtete Menschen bedeutet das: Keine oder weniger Lebensmittel, Gesundheitsversorgung, oder geschlossene Klassenzimmer.

Die Tragweite dieser Kürzungen zeigt sich, wenn man die gut dokumentierten Erfolge der humanitären Hilfe betrachtet – auch über Flüchtlinge hinaus. In Somalia etwa wurde eine verheerende Hungersnot nur knapp verhindert, weil internationale Hilfe schnell und umfassend einsetzte. In dem nun Hyper-Priorisierung“ genannten Prozess soll selbst für die Bedürftigsten der Bedürftigen massiv gekürzt werden. Wird Hilfe zu dünn gestreut, verliert sie aber nicht nur an Wirkung – sie wird auch schlicht ineffizient.

Überleben jenseits internationaler Hilfe

Die Vergangenheit war allerdings auch keine Zeit des Überflusses, genug“ Hilfe für alle gab es nie: Von den mehr als 100 Millionen Geflüchteten, die überwiegend in Entwicklungsländern leben, erreichte das humanitäre System stets nur einen Bruchteil. Die Realität ist komplexer, und bietet in gewisser Hinsicht auch Anlass zur Hoffnung: Die meisten Geflüchtete (über)leben ohne internationale humanitäre Hilfe. Sie schaffen es fast ohne uns. Wie? Das zu verstehen ist entscheidend, um einen Weg aufzuzeigen, wie es weitergehen kann, nun, da die weltweite humanitäre Hilfe auf absehbare Zeit zurückgeht. Mit dem Rückzug der USA sind die Zeiten hoher Etats für Hilfsgelder auf Jahre vorbei.

Vor Ort überleben Geflüchtete, so zeigen es wissenschaftliche Beobachtungen, indem sie sich wo immer möglich wirtschaftlich betätigen. Besonders in Städten und sogenannten informellen Siedlungen“ – also Ansammlungen von ungenehmigten Behausungen – sichern sie ihr Überleben durch (meist prekäre) Arbeit. Aber auch Kredite, Tauschhandel oder lokale Wohltätigkeit – zum Beispiel durch religiöse Organisationen – spielen eine Rolle. Diese Formen nicht-institutioneller Unterstützung werden selten wahrgenommen, geschweige denn gefördert. Besser können Geflüchtete allerdings dort leben, wo es auch grundlegende Strukturen und staatliche Unterstützungssysteme vorhanden sind – wie Schulen, Gesundheitsversorgung – zu denen Geflüchtete Zugang erhalten. Je diese Strukturen und die lokale Wirtschaft, desto besser die Bedingungen für Geflüchtete. 

Nothilfe und mehr: Geflüchtete brauchen Chancen, keine Abhängigkeit

Ein guter Fahrplan für die Bundesregierung sähe so aus: Die Bundesregierung stellt zum einen wieder mehr humanitäre Mittel bereitstellen, die dort eingesetzt werden, wo die Not am größten ist. Sie setzt sich für Reformen ein, welche die humanitäre Hilfe endlich besser lokal verwurzeln. Zum anderen aber sollte die Bundesregierung nicht bei der Förderung von Entwicklung nachlassen, sollte Hilfssysteme für Geflüchtete auch daran messen, ob sie Menschen unabhängig von humanitärer Hilfe machen. Dafür muss sie auch aus den Strategien lernen, die Geflüchtete für ihre Existenzsicherung anwenden, und sie in ihrer Förderpolitik berücksichtigen. Dazu könnte die stärkere Unterstützung von Sozialunternehmen gehören, Impact-Investments in (von Geflüchteten geführten) Unternehmen, die Unterstützung von Berufsausbildung und finanzieller Inklusion wie Mikrokredite oder mobile Bezahlsysteme. Aber auch die Förderung lokaler Wirtschaftskreisläufe, Unternehmen und Investitionen in die Infrastruktur und der Dialog mit Aufnahmeländern, die mit besseren Gesetzen und Vorschriften dafür sorgen können, dass Flüchtlinge arbeiten können, Unternehmen anmelden und Bankkonten eröffnen dürfen – was den Bedarf an Notfhilfe drastisch senken könnte.

Viele dieser Maßnahmen lassen sich durch lokale Akteure umsetzen – sie sind vor Ort besser vernetzt, dazu regelmäßig günstiger als die von Organisationen aus dem Ausland umgesetzten. Neben gemeindebasierten Initiativen vor Ort gilt das für die öffentliche Grundversorgung in den betroffenen Staaten, lokale Verwaltungen, Entwicklungsbanken, oder regionale Fonds, die Krisen wie Dürren abfedern können. 

Zehn Jahre nach dem Sommer der Migration sollte die Bundesregierung nicht nur nach Innen blicken, sondern ein Vorreiter beim internationalen Flüchtlingsschutz sein. Sie kann zu beidem beitragen: zu wirksamer Nothilfe und zu besseren wirtschaftlichen Bedingungen für Geflüchtete.