Commentary

Der Sicherheitsrat ist keine Kommandozentrale des Kanzlers

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Bundeskanzleramt, Berlin.  | Photo: Flickr / Lars Steffens (CC BY-SA 2.0)
28 Aug 2025, 
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Handelsblatt

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Ende Januar warb der Kanzlerkandidat Friedrich Merz in einer außenpolitischen Grundsatzrede für die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats. Nur acht Monate später verabschiedete am Mittwoch das Bundeskabinett die Geschäftsordnung für das weitreichendste Upgrade der außen- und sicherheitspolitischen Architektur seit über fünf Jahrzehnten.

Ab November wird die Geschäftsstelle unter Leitung von Merz’ Stabschef Jacob Schrot mit 13 neuen Planstellen die Arbeit voll aufnehmen. Schon die Personalausstattung macht klar: Der neue Sicherheitsrat ist keine Kommandozentrale, sondern Knotenpunkt an der Schnittstelle von wirtschaftlicher, technologischer, innerer und äußerer Sicherheit. Erfolgreich kann das Gremium nur sein, wenn alle Ministerien, die Länder, der Bundestag sowie auch Unternehmen mithelfen. Gerade auf die Mitarbeit der relevanten Ressorts wird es ankommen.

Deshalb sollten alle Minister an ihre Apparate die Devise Mitmachen, nicht mauern“ ausgeben und dafür auch konkrete Anreize setzen. Es wäre absurd, wenn sich stolze Häuser durch ein Gremium bedroht sehen, das weniger Planstellen hat als die beiden Altkanzlerbüros von Angela Merkel und Olaf Scholz zusammen. Im Gegenzug kann das Kanzleramt nur mit einem breit einbindenden Führungsstil erfolgreich sein, nicht nur gegenüber den Ministerien und Ländern, sondern gerade auch dem Bundestag. Und so sinnvoll es ist, dass der Sicherheitsrat vertraulich tagt, so wichtig sind größtmögliche Transparenz, Einbindung von Experten und Hineinwirken in die öffentliche Debatte.

Auch mit den bestmöglichen Absichten aller Beteiligten wird ein Sicherheitsrat die großen Bruchlinien in einer Koalitionsregierung in aufgeheizten politischen Zeiten nicht aus dem Weg räumen können. Aber er kann den Weg zu konkreten Verbesserungen ebnen, gerade im Bereich Wirtschaftssicherheit und technologische Abhängigkeiten. Diese gehen weit über die notwendige bessere Koordinierung in akuten Krisenlagen hinaus.

Der vielleicht wichtigste Beitrag könnte sein, sicherzustellen, dass sich die Regierung kontinuierlich mit längerfristigen Herausforderungen beschäftigt, die gerade nicht im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Aktuell etwa belegen Trump, Russland/​Ukraine und Israel/​Nahost fast die gesamte außenpolitische Bandbreite. Der Sicherheitsrat kann und soll dafür sorgen, dass langfristige Themen wie Ressourcensicherheit oder der Systemwettbewerb mit China kontinuierlich behandelt werden von den politischen Spitzen. Simulationen können helfen, Reaktionen auf zukünftige Krisen einzuüben. Und Methoden strategischer Vorausschau können im Zusammenspiel mit Experten dabei helfen, mittel- und langfristige Risiken zu erfassen und zu durchdenken.

Zentrale Rolle globaler Lieferketten

Auch der geplante Arbeitsstrang Lagebild“ kann großen Mehrwert liefern, der weit über aktuelle Krisensituationen hinausgeht. Allzu oft agiert die Regierung mit Blick auf zentrale wirtschaftliche und technologische Abhängigkeiten im Blindflug. Der Sicherheitsrat sollte dafür sorgen, dass eine kontinuierliche Erfassung der Entwicklung von Abhängigkeiten bei kritischen Rohstoffen, Lieferketten, Technologien erfolgt. Ebenso wichtig ist die Identifikation von zentralen Rollen Deutschlands und Europas in globalen Lieferketten, welche uns eigene Hebel gegen mögliche Erpressungsversuche durch China oder die USA geben. Trump droht etwa aktuell damit, Europa von US-Halbleitertechnologie abzuschneiden.

Doch deren Produktion hängt entscheidend von drei niederländischen und deutschen Firmen ab: ASML, Zeiss und Trumpf. Solche Positionen deutscher Unternehmen gibt es auch in anderen Feldern. Die Schärfung des Sachverstands zu Wirtschaftssicherheit und Technologie funktioniert nur in einem kontinuierlichen Austausch mit Unternehmen und Technologieexperten sowie ausländischen Partnern.

Die vom Sicherheitsrat geplante Aktualisierung der Nationalen Sicherheitsstrategie bietet die Möglichkeit, breit in die öffentliche Debatte hineinzuwirken mit Blick auf Risikosensibilisierung und Handlungsnotwendigkeiten. Nur so lässt sich die von Merz angestrebte Weiterentwicklung der strategischen Kultur voranbringen.

Am Ende hängt Deutschlands außenpolitische Handlungsfähigkeit entscheidend von der wirtschaftlichen Stärke und innenpolitischen Stabilität ab. Insofern wäre der Kanzler gut beraten, Foren zum koalitionsübergreifenden Austausch zu neuen Antworten auf wirtschafts- und sozialpolitische Herausforderungen mit gleicher Verve voranzutreiben wie den Nationalen Sicherheitsrat.


Dieser Kommentar wurde ursprünglich am 28. August 2025 im Handelsblatt veröffentlicht.