Commentary

Der US-Deal schmerzt, doch die größere Gefahr droht aus China

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General view from the plenary meeting of the EU-China Summit  | Photo: flickr / Herman Van Rompuy (CC BY-NC-ND 2.0)
30 Jul 2025, 
published in
Handelsblatt

Nach dem Abschluss des Handelsdeals zwischen der EU und den USA in Schottland am vergangenen Sonntag zeigten sich US-Präsident Donald Trump und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mit ihren Verhandlungsteams auf dem transatlantischen Familienfoto einträchtig mit Synchronlächeln und Daumen-hoch-Geste. Nur Sabine Weyand, die Top-Handelsbeamtin der EU-Kommission, stand mit versteinerter Miene da. Und dazu hatte sie allen Grund.

Die Vereinbarung erinnert in ihrer Einseitigkeit an die ungleichen Verträge, die westliche Mächte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts China abpressten. Die EU, die in Handelsverhandlungen mit schwächeren Partnern so selbstbewusst und dogmatisch auftritt, sieht nun schwach und scheinheilig aus. Europa gleicht einem Vasallen, der sich dem erpresserischen Hegemonen auf dessen privatem Landsitz kampflos ergibt. Doch ist es wohlfeil, der EU-Kommission Vorhaltungen zu machen.

Europa hatte keine guten Optionen. Von der Leyen führte mit Trump keine isolierte Verhandlung über Handelsfragen. Existenzielle Abhängigkeiten Europas von den USA bei Militär und Sicherheit, insbesondere mit Blick auf die Verteidigung gegen Russlands Angriffskrieg, waren immer mit auf dem Tisch. Zudem gilt: Brüssel ist nur so stark, wie die Mitgliedstaaten dies erlauben. Und diese waren uneinig und unentschlossen.

Sicher, die EU kann die USA wirtschaftlich empfindlich treffen und hätte eskalieren können in der Hoffnung, ein besseres Ergebnis zu erreichen. Der beste Zeitpunkt dafür wäre im Frühjahr gewesen, als sich sowohl China als auch Kanada gegen Trumps Zölle zur Wehr setzten. Das hätte den US-Präsidenten unter Druck gesetzt.

Aber wäre es auch klug gewesen? Eine solche Eskalation hätte die Vorbereitung des Nato-Gipfels im Juni gefährdet. Nato-Generalsekretär Mark Rutte hatte darauf gesetzt, Trump durch Umarmung und vollmundige Versprechen ein Bekenntnis zu dem Verteidigungsbündnis und auch der Ukraine abzuringen. Der Holländer inszeniert das Trump-Bändigen als Gesamtkunstwerk. Selbst in Hintergrundrunden rückt er nicht von den Schmeicheleien ab.

Die Rechnung ging vorerst auf: Der US-Präsident präsentierte das aktuelle, recht illusionäre Fünf-Prozent-Versprechen der europäischen Verbündeten als großen Sieg und hat von seiner Pro-Putin-Rhetorik Abstand genommen.

Taktik mit Kosten und Risiken

Von der Leyen hat sich für einen ähnlichen Weg entschieden. Sie akzeptierte einen 15-Prozent-Zollsatz und machte illusionäre Versprechungen etwa zum Kauf von US-Energie, die Trump als großen Sieg verkaufen konnte. Sicher: Die Umarmung Trumps ist eine Taktik mit beträchtlichen Kosten und Risiken. In der aktuellen Konstellation ist das Ergebnis für die deutsche Exportindustrie verkraftbar. Doch es gibt keinerlei Gewissheit, dass Trump die übrigen Zollsätze nicht so ändert, dass deutsche und europäische Exporteure massiv benachteiligt werden. Und schon jetzt gibt es ein Gerangel zwischen Brüssel und Washington mit Blick auf die Interpretation der Vereinbarung.

Aber aufgrund der militärischen Schwäche und Verwundbarkeit Europas rechtfertigt die Hoffnung, sich so noch ein wenig länger den Schutz durch Trump zu erkaufen, das Risiko und die Kosten. Sicher, es ist demütigend für das stolze Europa, von einem Brutalisten wie Trump so vorgeführt zu werden. Aber es ist die nicht unverdiente Quittung für das Versäumnis, in eigene militärische und technologische Stärke zu investieren und den Binnenmarkt entschlossen zu vertiefen. Europa wäre gut beraten, Wut und Scham über den ungleichen Vertrag mit Trump in den Aufbau eigener Stärke zu kanalisieren.

Gleichzeitig sollten gerade deutsche Entscheidungsträger nicht aus dem Blick verlieren, dass die weit größere Gefahr für Kernindustrien, von Automobil über Maschinenbau bis Chemie, durch den Systemwettbewerb mit Chinas Staatskapitalismus droht. Der drohende China-Schock ist weit existenzieller als der Trump-Schock. Trump und die Seinen beneiden Deutschland und Europa darum, dass es weit mehr industrielle Substanz als die USA erhalten hat, was auch eine unverzichtbare Voraussetzung für den militärischen Wiederaufbau ist. Diese Substanz steht heute auf dem Spiel.

Es ist mehr als fahrlässig, dass der sich abzeichnende China-Schock so wenig Aufmerksamkeit in der öffentlichen Debatte bekommt. Höchste Zeit für eine Kurskorrektur nach der Sommerpause.


Dieser Kommentar wurde ursprünglich am 39. Juli 2025 im Handelsblatt als Teil einer wiederkehrenden Kolumne über Geo-Ökonomie veröffentlicht.