Commentary

Die Mächtigen lachen über uns

Benner 2025 JD Vance OJ
US-Vizepräsident J.D. Vance bei einer Rede im Juni 2024. Vance und US-Präsident Donald Trump schaffen „eine Welt, in der das Recht des Stärkeren gilt."  | Photo: Gage Skidmore/Wikimedia (CC BY-SA 2.0)
20 Feb 2025, 
published in
Handelsblatt

Ein drohender Handelskrieg gegen die deutsche Exportindustrie. Ein Deal mit Moskau zulasten der Ukraine und der europäischen Sicherheitsordnung. Spätimperiale Gelüste von Grönland bis Gaza. Der Versuch, der Neuen Rechten in Deutschland und Europa den Weg an die Macht zu ebnen. Die Ambition, die EU als regulatorischen Akteur, der sich gegen US-Interessen stellen kann, zu neutralisieren.

Unter Donald Trump wird unsere Schutzmacht USA zunehmend zu einer feindseligen Macht. Deutschland und die EU befinden sich im Zangengriff von Trump, Putin und Xi. Sie kämpfen um Luft zum Atmen in einer Welt, in der die USA, Russland und China Europa als Beute betrachten. So ist, nüchtern betrachtet, die Lage. Die Aufgabe für die nächste Bundesregierung ist klar: die Selbstbehauptung in einer unwirtlichen Welt neu zu organisieren. Einer Welt, in der das Recht des Stärkeren gilt und in der die Mächtigen über deutsche und europäische Selbstbilder als Zivilmacht“ und normative Macht“ lachen.

In München sagte Bundeskanzler Scholz am letzten Samstag: Wir werden uns auf keine Lösung einlassen, die zu einer Entkopplung europäischer und amerikanischer Sicherheit führen würde.“ Das ist ein bisschen so, als hätte der afghanische Präsident Ghani dem damaligen US-Präsidenten Biden vor dem US-Abzug aus Afghanistan mitgeteilt, dass dieser nicht infrage kommt. Die Entscheidung über die Entkopplung liegt in der Hand der USA. Deutschland hat da kein Vetorecht.

Deshalb gilt: Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass dies Realität werden könnte, und vorbeugen, dass infolge des Abzugs der USA nicht die europäische Freiheitsordnung zusammenbricht. Europa sollte deshalb mit der US-Regierung einen Fahrplan verabreden, wie es innerhalb des nächsten Jahrzehnts die Verantwortung für die konventionelle Verteidigung des eigenen Kontinents komplett selbst übernimmt – mit konkreten Meilensteinen für die kritischen Fähigkeiten, die aktuell vom US-Militär bereitgestellt werden.

Und auch wenn Washington aktuell den nuklearen Schutzschirm nicht in Zweifel zieht: Die Bundesregierung sollte in nächster Zeit hinter verschlossenen Türen einen Plan B mit Frankreich und Großbritannien diskutieren für den Ausbau der eigenständigen nuklearen Abschreckungsfähigkeit Europas unter Beteiligung Deutschlands für den Tag X, an dem sich die USA auch nuklear zurückziehen. Ja, solche Gedankenspiele sind erschreckend, und die Priorität sollte auf dem Schließen der Lücke bei den nicht-nuklearen Fähigkeiten liegen.

Doch noch gefährlicher ist es, sich wie der Bundeskanzler darauf zu verlassen, dass wir dekretieren können, dass das Unerwünschte nicht passiert. Scholz’ Vorgängerin Angela Merkel sagte vor acht Jahren im Bierzelt von Trudering: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“ Wir sehen heute, welch dramatische Folgen dieser Satz hat, wenn wir ihn ernst nehmen.

Europa sollte Verabredungen mit Trump auf Basis gemeinsamer Interessen versuchen, wo immer dies möglich ist. Gleichzeitig lässt Trump Europa keine andere Wahl, als Abhängigkeiten gegenüber den USA zu verringern und gemeinsam mit anderen eine Gegenmacht aufzubauen. Deshalb lohnen sich Investitionen in neue und alte Partner von Kanada bis Indien. Technologisch sollten wir die größten Verwundbarkeiten angehen. Doch Blütenträume umfassender technologischer Souveränität auf Basis einer komplett europäischen EuroStack“ bestehen nicht den Stresstest einer Realität, in der Europa heute zum führenden Anwender Künstlicher Intelligenz werden muss.

Auch wäre es naiv, das Heil in einer Hinwendung nach Peking zu suchen. An der Tatsache, dass der China-Schock 2.0“ die deutschen Kernindustrien bedroht, ändert Trumps Übergriffigkeit nichts – auch wenn Olaf Scholz wie Friedrich Merz diese Gefahr weiterhin zu leugnen scheinen. Deutschland muss in der EU Schutzmaßnahmen für den Erhalt europäischer Kernindustrien orchestrieren, statt diese zu sabotieren. Es muss lernen, dass Exportweltmeister“ eine Hochrisikostrategie ist in einer Welt, in der mit China und den USA die größten Märkte außerhalb Europas das klare Ziel der Stärkung der eigenen Industrie auf Kosten globaler Wettbewerber verfolgen.

Wir müssen mehr auf Binnennachfrage daheim und in Europa setzen sowie ein entschlossenes Niederreißen der noch viel zu großen Barrieren des EU-Binnenmarkts. Also nichts weniger als eine fundamentale Neujustierung des deutschen Modells. Wie beruhigend, dass wir all diese Dinge im Wahlkampf so gründlich diskutiert haben.


Dieser Kommentar wurde ursprünglich vom Handelsblatt als Teil einer wiederkehrenden Kolumne über Geoeconomics” am 20. Februar 2025 veröffentlicht.