Die USA stellen der Nachkriegs-Weltordnung den Totenschein aus
Während Trumps erster Amtszeit setzte in Washington eine deutsche Teilnehmerin in einem globalen Dialogprogramm unseres Instituts zu einer Ode auf die „liberale regelbasierte internationale Ordnung“ an. Aus einem südafrikanischen Teilnehmer platzte es heraus: „Brennt sie einfach nieder!“ Die Ordnung benachteilige den globalen Süden systematisch.
Deutschland hoffte damals, sich mit anderen Mittelmächten wie Kanada in einer „Allianz für Multilateralismus“ durch vier Jahre Trump zu retten. Die USA sollten dann nach dem Ausrutscher Trump wieder zurück ins Boot des Multilateralismus kommen. Das Kalkül schien aufzugehen. „Amerika ist zurück“, rief Joe Biden vor vier Jahren den Europäern zu. Die USA könnten globale Herausforderungen nur gemeinsam mit Verbündeten angehen. Dieser Traum ist ausgeträumt. Heute ist klar: Trump war kein Ausrutscher. Und Biden nur das letzte Aufflackern des klassischen US-Nachkriegsinternationalismus.
Vorige Woche stellte der neue US-Außenminister Marco Rubio der nach 1945 von den USA geprägten Ordnung den Totenschein aus. Er klang dabei ein wenig wie der südafrikanische Teilnehmer unseres Dialogprogramms. Die globale Ordnung sei „nicht nur obsolet. Sie ist jetzt eine Waffe, die gegen uns benutzt wird“, vonseiten Chinas, Russlands und anderer autoritärer Mächte. Trump würde ergänzen: Auch Deutschland nutzt die Welthandelsordnung gegen die USA aus und ist Trittbrettfahrer in der Nato.
Als Antwort reicht diesmal keine „Allianz für Multilateralismus“. Am Ende von vier weiteren Jahren Trump wartet nicht die vermeintlich rettende Hand eines Joe Biden. Nicht nur müssen wir jetzt endlich Ernst machen mit den Investitionen in die kritischen Fähigkeiten zur Verteidigung Europas. Es sollte den Letzten klar geworden sein, dass wir nicht mehr blind auf US-Sicherheitsgarantien vertrauen können. Wir müssen auch unsere breitere internationale Aufstellung neu justieren. Oden auf die regelbasierte internationale Ordnung bringen da nichts.
Sicher: Investitionen in das UN-System sind gerade bei Gegenwind durch die Großmächte sehr in Deutschlands Interesse. Ergänzend ist die Vertiefung der Zusammenarbeit mit Staaten außerhalb des Westens ein zentraler Baustein. Deutschland muss dabei Antworten auf die Skepsis finden, die im Nicht-Westen vielerorts durch Gaza, „Impfstoffapartheid“ und Sorgen vor EU-Klimaprotektionismus nur noch gewachsen ist. Umso wichtiger ist es, gute Angebote zu machen auf der Basis gemeinsamer Interessen.
Wo immer, sollten wir Übereinkünfte forcieren
Diesen nüchternen Transaktionalismus werden wir auch mit den USA unter Trump einüben müssen. Wo immer möglich, sollten wir Übereinkünfte forcieren. Wo notwendig, sollten Deutschland und die EU Gegenmacht gegen Trumps Übergriffigkeit zu organisieren versuchen. Gleichzeitig sollten wir einen ehrlichen Blick in den Spiegel werfen, wo wir in Europa selbst den Glauben an Elemente der globalen Ordnung verloren haben.
Deutschland hat beim LNG-Beschleunigungsgesetz wenig zimperlich einen Verstoß gegen die Beteiligungsrechte durch die Aarhus-Konvention riskiert. Finnland hat das Recht auf Asyl an der Grenze zu Russland komplett ausgesetzt, weil Putin Migration zur Destabilisierung einsetzt. Litauen will sich aus dem Ottawa-Abkommen über Antipersonenminen zurückziehen, weil es diese zur Verteidigung gegen Russland für notwendig hält. Alle diese Regeln waren nicht stressgetestet für einen Krieg mit Russland.
Der China-Schock 2.0 bedroht den industriellen Kern Deutschlands
Genauso wenig war die Welthandelsorganisation WTO stressgetestet für die Mitgliedschaft eines autoritär-staatskapitalistischen China, das sich nicht in Richtung Marktwirtschaft entwickelt. Auch Deutschland muss lernen, was man in Brüssel und Paris erkannt hat mit Blick auf unfairen Wettbewerb und den „China-Schock 2.0“, der den industriellen Kern Deutschlands bedroht: „Innerhalb der WTO, wo immer möglich. Jenseits der WTO, wo nötig“ muss das neue Motto sein gegenüber Peking. Gleichzeitig sollte Deutschland für ambitionierte wie realistische EU-Handelsabkommen mit dem Rest der Welt werben.
Der Kampf um eigenen Handlungsspielraum wird in einer Welt von „America first“ und „China first“ nur noch deutlich härter werden. Dafür muss Deutschland maximal schlagkräftig sein, gerade mit Blick auf die Verzahnung von Sicherheit, Wirtschaft und Technologie. Ein neuer Nationaler Sicherheitsrat muss Wirtschaftssicherheit und Technologie im Zentrum haben. So sehr unsere Aufstellung auf den Prüfstand gehört: Es ist der absolut falsche Zeitpunkt, den Haushalt für internationales Engagement gedankenlos zusammenzustreichen.
This commentary was originally published by Handelsblatt as part of a recurring column on Geoeconomics on January 23, 2025.