So könnte eine gute Rückkehr-Politik aussehen
Man kann sich nur die Augen reiben. Die Syrer wachen nach über 50 Jahren unter der Assad-Diktatur und 13 Jahren Bürgerkrieg aus einem Alptraum auf. In der Nähe von Damaskus legen sie mit bloßen Händen immer noch die unterirdischen Zellen eines Foltergefängnisses für politische Gefangene frei, da beginnt in Deutschland schon eine Debatte über die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge. Inzwischen fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen “zügigen Rückkehrplan”. Die Debatte verstellt nicht nur den Blick darauf, was aktuell wirklich wichtig ist, sondern wird auch falsch geführt.
Deutschlands Eigeninteresse sollte nicht primär in der kurzfristigen Rückkehr der Syrer liegen, sondern in einer stabilen Entwicklung Syriens — für unsere eigene Sicherheit und auch, um Menschen vor Ort eine Perspektive zu ermöglichen. Für die Stabilität Syriens kann eine gute Rückkehrpolitik ein Baustein sein. Der ist allerdings kleiner und anders als bislang diskutiert. Wie also sähe eine gute Rückkehrpolitik aus?
Rückkehr nur freiwillig
Zunächst: Es ist unrealistisch, dass eine hohe Zahl Syrer kurzfristig zurückkehrt. Nationales und internationales Recht setzen hohe Hürden für die Aufhebung des Flüchtlingsstatus. Er erlischt auch dann nicht, wenn Syrer kurzfristig in die Heimat reisen — etwa, um nachzusehen, was vom früheren Leben geblieben ist. Infrage kommt momentan nur eine freiwillige Rückkehr. Syrer in Deutschland wollen aber erst bei einer deutlichen Verbesserung der Situation zurückkehren, daran wird auch ein Handgeld nichts ändern. Die Bundesregierung sollte sich realistische — sprich: niedrigere — Erwartungen an die Höhe der Zahl der Rückkehrer und den Zeitpunkt der Rückkehr setzen.
Mittelfristig sollte sie die Arbeitsmarktintegration in Deutschland nicht als Hinderungsgrund, sondern als Kernbestandteil einer guten Rückkehrpolitik sehen. Nicht nur, weil Arbeiter direkt Geld in ihre Heimat überweisen, das dort lokalen Märkten zugutekommt. Wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen zur Rückkehr von Flüchtlingen legen nahe, dass freiwillig vor allem Flüchtlinge zurückkehren, die im Aufnahmeland berufliche Fähigkeiten gewonnen und finanzielle Ressourcen aufgebaut haben, sowie im Heimatland noch über familiäre Verbindungen verfügen.
Erfahrungen mit aus Deutschland in die Nachfolgeländer des ehemaligen Jugoslawiens rückkehrende Migranten deuten darauf hin, dass die, die im Fluchtland in den Arbeitsmarkt integriert waren, tatsächlich zum Wissenstransfer in ihre Heimatländer und damit zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen können. Dafür müssen im Land aber auch Voraussetzungen vorhanden sein. Mit anderen Worten: Es muss auch eine entsprechende Wirtschaft geben, in die Syrer nun zurückkehren. Davon kann momentan noch keine Rede sein.
Unterstützung der Nachbarstaaten
Daneben sollte die Bundesregierung auch die Nachbarstaaten Syriens weiter unterstützen, damit diese weiter Syrer aufnehmen und sie arbeiten lassen. Denn Untersuchungen zu den Nachbarstaaten Syriens deuten darauf hin, dass freiwillige Rückkehr durch gute Aufnahmebedingungen im Fluchtland und insbesondere der Arbeitsmarktintegration unterstützt wird. Außerdem kann Rückkehr auch destabilisierend wirken, indem sie soziale und Ressourcenkonflikte verschärft.
Nachbarländer Syriens haben gemessen an ihrer Bevölkerungszahl eine deutlich größere Anzahl syrischer Flüchtlinge aufgenommen und treiben jetzt die Rückkehr von Syrern voran — insbesondere die Türkei. Eine erhöhte Rückkehr aus den Nachbarstaaten wird in Syrien aber auch die allgemeinen Bedingungen vor Ort beeinflussen: die sehr begrenzte Verfügbarkeit von Wohnraum, Land, Erwerbsmöglichkeiten und staatlichen Basisdienstleistungen. Die zivile Infrastruktur ist in weiten Teilen des Landes zerstört, der Bedarf selbst an Nothilfe ist entsprechend groß.
Worauf es wirklich ankommt
Die Bundesregierung sollte die politischen und finanziellen Ressourcen für eine gute Rückkehrpolitik im Verhältnis zu anderen Maßnahmen nicht überbewerten. Die Rolle, die Rückkehrpolitik selbst mittelfristig für den Wiederaufbau in Syrien spielen kann, ist eher gering. Nötig ist jetzt zuallererst, dass Deutschland und andere EU-Länder Gesprächskanäle mit den neuen Machthabern der Hayat Tahrir al-Sham (HTS)-Miliz aufbauen — auch, wenn diese derzeit noch als Terrorgruppe gelistet wird.
Sie müssen zunächst aushandeln, wie sie die humanitäre (Not)hilfe erhöhen können, und unter welchen Bedingungen und Garantien für die in Syrien lebenden Minderheiten sie die Syrer endlich unterstützen können, das Land wiederaufzubauen. Erst wenn diese Fragen geklärt sind, sollten Deutschland und seine EU-Partner politisches Kapital darauf verwenden, Rückführungsabkommen auszuhandeln.
This commentary was first published by NTV on December 14, 2024.