Commentary

Streit um die Entwicklungspolitik: Welche nationalen Interessen?

Hensing 2024 Welche nationalen Interessen
Svenja Schulze, the Federal Minister for Economic Cooperation and Development, speaks at the re:publica 23 conference in Berlin.  | Photo: republica GmbH/Flickr (CC BY-SA 2.0)
28 Mar 2024, 
published in
IPG Journal

Was Entwicklungspolitik in Zeiten knapper Kassen leisten kann und soll, darüber entspinnt sich seit einigen Wochen eine Grundsatzdebatte. Konkret drängt eine klaffende Finanzierungslücke:940 Millionen Euro – zehn Prozent des Vorjahresetats – muss das federführende Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) allein dieses Jahr einsparen, weitere Kürzungen drohen ab 2025. Zusammen mit der humanitären Hilfe ist die Entwicklungszusammenarbeit damit die große Verliererin der Haushaltsverhandlungen. Angesichts immer härterer Verteilungskämpfe tritt auch eine aus anderen Ländern wie Großbritannien bekannte Forderung zunehmend in den Vordergrund: Die Entwicklungspolitik solle sich endlich auf nationale Interessen“ konzentrieren.

In markigen Wortmeldungen wird dabei gerne suggeriert, es sei offensichtlich, worin diese Interessen bestehen und wie sie verfolgt werden sollten. Dass dies nicht stimmt, veranschaulicht aber etwa die – unter anderem von CDU-MannThorsten Frei und jüngst auch seitens des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) erhobene – Forderung, die Bundesregierung solle Finanzierungszusagen stärker an die Umsetzung durch deutsche Firmen binden. Hier kollidiert sogleich das Geschäftsinteresse deutscher Unternehmen mit dem Grundsatz eines möglichst sparsamen Einsatzes von Steuergeldern – ganz abgesehen von Nachhaltigkeitserwägungen und guten politischen Gründen, die für eine Beauftragung von lokalen Firmen und Anbietern aus Drittstaaten sprechen können. Dem zu Recht beklagten unfairen Wettbewerb mit Firmen aus China und anderen staatskapitalistischen Systemen kann mit deutlich gezielteren Vorkehrungen begegnet werden.

Nochmals wesentlich komplizierter wird es, wenn weitere politische Erwartungen einbezogen werden, die seit Jahren an die Entwicklungszusammenarbeit gestellt und ohne Verrenkungen interessenbasiert begründet werden können. Hierzu zählen beispielsweise die viel beschworene Minderung von Fluchtursachen“, die Bekämpfung des Klimawandels und der Schutz der Biodiversität, die Stärkung der Resilienz bei Energieversorgung und Rohstoffen oder die Pflege von Partnerschaften in einer volatilen globalen Sicherheitslage – die Liste ließe sich fortsetzen. Zwischen diesen vielfältigen Interessen zu priorisieren, Zielkonflikte aufzulösen und den Interessenbegriff so mit Inhalt zu füllen, ist eine originär politische Aufgabe – insofern sind die Fürsprecher des nationalen Interesses“ gefordert, klarer zu benennen, was sie damit meinen.

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Zielen deutscher Entwicklungspolitik ist indes absolut geboten. Aktuelle strategische Richtschnur ist das Reformkonzept BMZ 2030“, in welchem das BMZ die staatliche Entwicklungszusammenarbeit unter anderem auf 60 Länder in verschiedenen Partnerschaftskategorien fokussiert und Zukunftsthemen“ wie Klimaschutz und nachhaltige Lieferketten definiert hat, die künftig das Engagement prägen sollen. Das Konzept beeilt sich allerdings, zu unterstreichen: Wichtigstes Ziel bleibt aber nach wie vor die Überwindung von Hunger und Armut.“

Für dieses Ziel an sich gibt es gute Argumente, sowohl die globale Verantwortung als reiches Land als auch das Eigeninteresse an einer prosperierenden Welt. Allerdings sprechen alle Erfahrungen der letzten Jahrzehnte dagegen, dass Deutschland (oder irgendein anderer externer Akteur) im Zuge seiner Entwicklungszusammenarbeit die wesentlichen Hebel in der Hand hält, um es zu erreichen. Entscheidend sind – neben Rahmenbedingungen der globalen Wirtschaftsordnung – vielmehr politische Faktoren im jeweiligen Partnerland. Der Oxford-Professor und ehemalige Chefökonom des einstigen britischen Ministeriums für Entwicklungszusammenarbeit (DFID), Stefan Dercon, spricht hier von einem Development Bargain.“ Einen solchen Entwicklungspakt“ unter lokalen Eliten sieht er als kritische Bedingung, damit diese bereit sind, Entwicklungsstrategien ernsthaft zu erproben und umzusetzen und damit verbundene Risiken in Kauf zu nehmen, gerade hinsichtlich unerwarteter gesellschaftlicher Veränderungen.

Inwiefern diese grundlegenden Bedingungen gegeben sind, lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, ob die jeweilige Regierung ihrerseits Entwicklungsziele glaubhaft verfolgt und klare und kohärente Erwartungen an externe Partner formuliert. Daher wäre es sinnvoll, wenn die Bundesregierung ihre Ausgangsposition in den ohnehin immer erforderlichen Verhandlungen mit Partnerregierungen zunächst weitestgehend auf Anliegen ausrichten würde, die mindestens auch auf weitere, unmittelbarer erreichbare Ziele auf Basis der eigenen Interessenabwägung einzahlen. Ausnahmen könnten für bestimmte Maßnahmen gemacht werden, die erwiesenermaßen besonders wirksam sind und deren Erfolg weniger stark vom Partner abhängt – etwa im Kampf gegen sogenannte vernachlässigte Tropenkrankheiten, denen weltweit pro Jahr eine halbe Million Menschen zum Opfer fallen. Auf dieser Grundlage könnte sie dann – konstruktiv – auf Initiativen und Erwartungen des Gegenübers reagieren. Letztlich wäre dies eine ehrlichere Umsetzung des viel besungenen Local Ownership“ als der aktuelle Versuch, auf ein Ziel hinzuverhandeln, das nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn das Gegenüber es ohnehin bereits mit Überzeugung verfolgt.

Welche der oben angerissenen Ziele dabei im Vordergrund stehen sollten, kann auf globaler Ebene sinnvoll nur in Form breiter Leitplanken definiert werden. In Kombination des BMZ 2030“-Konzepts, der nationalen Sicherheitsstrategie sowie Strategiepapieren zu Außenwirtschaft, Rohstoffen und Energie aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sind diese auch bereits leidlich gegeben. Eine stärkere Integration solcher Strategien der Bundesregierung wäre wünschenswert; Aufwand und Ertrag stehen aber in keinem Verhältnis, solange an der großen Autonomie der Ressorts bei der Gestaltung ihres Politikbereichs nicht gerüttelt wird.

Zentral ist daher die Ebene der Partnerländer, auf die die BMZ-Strategie grundsätzlich richtig fokussiert. Darauf gilt es nun mit echten Länderstrategien aufzubauen, die stärker auf Ziele der Bundesregierung in der Welt insgesamt und nicht auf eine künstlich verengte BMZ-Sicht abstellen sollten. Das bedeutet: Die Strategien sollten unter Einbeziehung der anderen Ministerien ausbuchstabieren, für welche Ziele im jeweiligen Land relevante Potenziale bestehen, inwiefern entwicklungspolitische Maßnahmen zu deren Erreichung beitragen können, welche Ressourcen dafür jeweils benötigt werden und welche Aspekte aufgrund dieser Analyse sowie unter Berücksichtigung möglicher Zielkonflikte Vorrang erhalten sollen.

Angesichts immer wiederkehrender Gedankenspiele zu einer möglichen Zusammenlegung mit dem Auswärtigen Amt wäre es im Eigeninteresse des BMZ, hierbei aktiv die Führungsrolle zu suchen. Es wäre aber auch inhaltlich wünschenswert, weil die Expertise des Hauses essenziell bleibt: in den (hoffentlich nicht allzu raren) Fällen, in denen die Kombination aus klaren eigenen Zielen und den Prioritäten des Partnerlands tatsächlich eine Agenda im gegenseitigen Interesse ergibt. Und wo dies nicht der Fall ist, wäre für entwicklungspolitische Maßnahmen so oder so der Rotstift angezeigt.


This commentary was first published in IPG-Journal on March 262024.