G20-Gipfel in Neu Delhi: Indien will sich als Weltmacht profilieren
Während des BRICS-Gipfels in Johannesburg im August konnte In-diens Premier Narendra Modi stolz der Welt die erste Landung einer in-dischen Sonde auf dem Mond ver-künden: „Dies ist ein historischer Moment, er lässt das Signalhorn für ein entwickeltes Indien ertönen“. An diesem Wochenende ist Modi nun selbst Gastgeber beim G20-Gipfel in Neu-Delhi.
Der Premierminister des mit 1,4 Milliarden Menschen bevölkerungsreichsten Landes der Welt und der mittlerweile fünftgrößten Volkswirtschaft nutzt auch die G20-Präsidentschaft als große Bühne nach innen wie außen. Selbstbewusst vertritt er Indiens Führungsanspruch, Machtpol in einer multipolaren Weltordnung sowie Mitgestalter internationaler Institutionen und Regeln zu werden. Politische Leitlinie ist hierbei die strategische Autonomie, bei der jegliche Partnerschaften nach Vorteilen für Sicherheit und Wirtschaft und nicht auf Grundlage gemeinsamer Werte gepflegt werden.
Der Gipfel als Ablenkung von nationalen Problemen
Für Modis Indien ist es kein Widerspruch, sowohl Teil der BRICS als auch der Quad-Sicherheitspartnerschaft mit den USA, Japan und Australien zu sein. Ziel ist vielmehr, sich als Brückenbauer zwischen dem Westen und dem „Globalen Süden“ zu positionieren. Wie für wohl kaum einen anderen G20-Regierungschef zuvor, ist die Präsidentschaft des Gipfeltreffens für Modi ein Werkzeug zur innenpolitischen Profilierung. So dekorieren seit Beginn des Jahres Poster mit dem G20-Logo und Slogans wie „Große Verantwortung, kühne Wünsche“ („big responsibilities, bold desires“) sämtliche Hauptstraßen Neu-Delhis. Die indische Opposition kritisiert solche Inszenierungen, insbesondere im Hinblick auf die im nächsten Frühjahr stattfindenden Parlamentswahlen.
So wirft der Generalsekretär der oppositionellen Kongresspartei Modi vor, die G20-Präsidentschaft für seine Wahlkampagne zu nutzen, um von innenpolitischen Problemen abzulenken und sich für eine dritte Amtszeit in Position zu bringen. Inhaltlich fokussiert sich Indiens G20-Präsidentschaft als selbsternannte „Stimme des Globalen Südens“ auf eine gerechtere internationale Ordnung sowie eine neue Tech- und Handelspolitik mit einfacheren Zugängen zu wichtigen Schlüsseltechnologien. Modis Regierung fordert etwa niedrigere Patent-Hürden sowie eine höhere politische Bereitschaft zur technologischen Interoperabilität und einfacheren Zugänglichkeit.
Im Gegensatz zu manchen US-Konzernen entwickeln viele indische Firmen schon seit dreißig Jahren Technologie-offenere Software-Lösungen, die günstige und praktikable Alternativen für den Globalen Süden bieten. Mit Blick auf die Klimakrise drängt Indien auch im Rahmen des G20-Gipfels auf die stärkere Unterstützung von Entwicklungs- und Schwellenländern, um einen einfacheren Zugang zu Energiewende-Schlüsseltechnologien zu ermöglichen.
Modi will ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat bekommen
Indiens erste selbst-initiierte multilaterale Plattform, die International Solar Alliance, steht sinnbildlich für seine Ambition, die Entwicklung und Finanzierung von erneuerbaren Energien im Globalen Süden voranzutreiben. Der Anspruch, die, „unterrepräsentierte Stimmen des Globalen Süden“ in die G20 zu bringen, unterliegt dabei zumeist auch einem machtpolitischen Kalkül. Während Indien sich, wie auch Deutschland, für die Aufnahme der Afrikanischen Union in die G20-Gruppe einsetzt, hofft Modi zugleich, dass dies die Unterstützung für einen ständigen Sitz seines Landes im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erhöht.
Überschattet werden diese Diskussionen von der Polarisierung innerhalb der G20 in Folge von Russlands Angriffskrieg. Auch hier positioniert sich Indien als Mittler, der westliche Sanktionen genauso wie den Krieg ablehnt und die Brücken zu Russland auch aufgrund militärischer Abhängigkeiten nicht abbrechen will. Vergangene Woche sagte Außenminister Jaishankar, es sei „unsere Verantwortung, die geteilte Welt zusammenzubringen“.
Doch China, das spätestens nach den Kämpfen an der Grenze mit Dutzenden Toten im Jahre 2020 zu Indiens größter sicherheitspolitischen Gefahr wurde, setzt alles daran, dass Delhi dabei scheitert. Nicht nur hat Peking Indiens Initiativen bei den G20-Verhandlun-gen über die gesamte Präsidentschaft hinweg konterkariert. Um Modis G20-Show zu schmälern, sagte Xi kurzfristig seine Teilnahme am Gipfel ab.
This commentary first appeared in print in the Tagesspiegel weekend edition on September 9, 2023.