Interview

„Geht gar nicht um Spionage“: Warum Huawei für Europa trotzdem so gefährlich ist

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Source: VistaCraft / Flickr
25 May 2019, 
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FOCUS Online

FOCUS Online: Herr Benner, trotz gegenteiliger Forderungen aus den USA will die deutsche Regierung den chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei nicht vom Aufbau der 5G-Infrastruktur in Deutschland ausschließen. Donald Trump eskaliert die Situation nun, indem er US-Firmen verboten hat, Huawei mit US-Technologie zu beliefern – weil Huawei angeblich Spionage für die chinesische Regierung betreibt. Beweise dafür liefern die USA allerdings nicht. Als einer der wenigen Experten in Deutschland, so zumindest scheint es, sprechen auch Sie sich klar gegen eine Beteiligung Huaweis beim Aufbau des deutschen 5G-Netzes aus. Fürchten Sie wirklich, dass China uns mit 5G ausspioniert?

Thorsten Benner: Um Spionage geht es in erster Linie gar nicht, auch wenn das die USA und unsere Politiker in der Debatte häufig so erscheinen lassen. Spionage zähle ich zu einem der kleineren Risiken. Vielmehr geht es um die Möglichkeit zur Sabotage: Im Konfliktfall zwischen den USA und China könnte der chinesische Staat Huawei dazu zwingen, Netze von Verbündeten der USA lahmzulegen. Software-Updates bieten dazu etwa eine Einfallstür. Vor allem für die Industrie und im Transportwesen ist das Risiko, um es deutlich zu sagen, zu groß, als dass man davor die Augen verschließen könnte. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Ausschlusskriterium: Wir sollten unsere kritische Infrastruktur nicht von einem Unternehmen bestücken lassen, das letztendlich unter der Kontrolle des chinesischen Parteistaats steht.

FOCUS Online: Huawei beteuert doch immer wieder, sie seien ein unabhängiges Unternehmen und würden anderen niemals Schaden zufügen.

Benner: Es wäre naiv zu glauben, dass die chinesische Regierung, wenn es darauf ankommt, nicht auch Huawei für ihre Zwecke einspannt. Das liegt in der Logik des chinesischen Regierungssystems, in dem es in letzter Konsequenz keine wirklich unabhängigen Institutionen gibt, die dem Allmachtsanspruch des Parteistaats nicht unterworfen wären. Dazu braucht es keine gesetzliche Grundlage. Nützlicherweise hat jedoch Peking auch in einem brisanten Gesetz aus dem Jahr 2017 klargestellt, das Huawei nicht unabhängig ist. Es schreibt vor, dass Organisationen und Bürger die nationale Geheimdienstarbeit unterstützen sollen und mit den Diensten kooperieren und dieses geheim halten“. Das bedeutet im Klartext: Peking kann Huawei zur Beteiligung an Spionageoperationen und Sabotage europäischer Netzwerke zwingen.

FOCUS Online: Wenn, wie Sie sagen, Huawei nicht beim Aufbau der 5G-Infrastruktur beteiligt werden sollte: Wer soll es dann machen? Sind die Europäer dazu überhaupt in der Lage? Huawei-Chef Ren Zheng behauptet immerhin, sein Unternehmen sei der Konkurrenz zwei bis drei Jahre“ voraus.

Benner: Huawei hat sehr erfolgreich in Forschung und Entwicklung investiert. Es ist der einzige Anbieter, der neben der 5G-Netzausrüstung auch mobile Endgeräte und Chips für den 5G-Markt herstellt. Nokia und Ericsson selbst sagen aber, dass sie im Bereich der Netzausrüstung – um den es hier geht – durchaus ähnlich viel investiert haben wie Huawei. Nicht umsonst bauen sie in Australien und Neuseeland die Netze auf.

Zum anderen stellt sich die Frage, ob wir es in Deutschland wirklich so eilig mit dem 5G-Aufbau haben, wie das manche behaupten. Denn auch Anwendungen wie die Telemedizin oder das autonome Fahren, für die wir 5G angeblich so schnell brauchen, werden in den beiden nächsten Jahren nicht groß ausgerollt. Es besteht also kein Grund zur Panik, wir verlieren sicher nicht den Anschluss, selbst wenn wir ein ganzes Jahr verlieren sollten. Wichtig sind erstmal nur die proprietären Netze großer Unternehmen und 5G-Testnetze in Ballungsgebieten. Diese können wir schnell auch ohne Huawei bauen.

Benner: Wenn wir jetzt Huawei-Technik einkaufen, dann sparen wir zwar möglicherweise kurzfristig Geld. Doch langfristig werden viel höhere Kosten anfallen, wenn wir gleichzeitig gewährleisten wollen, dass wir unsere Netzautonomie behalten und die Sicherheit nicht gefährdet ist. Wenn eine Behörde wie das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) künftig die ganze Technik der Chinesen überwachen will, dann geht das nur mit einer erheblichen Aufstockung ihrer Ressourcen.

FOCUS Online: Warum gibt es dann überhaupt so viel Unterstützung für Huawei?

Benner: Huawei macht starke Lobbyarbeit in Deutschland. Und die einzelnen Akteure, die für Huawei sind, haben aus ihrer jeweiligen Warte durchaus gute Gründe dafür. Das BSI hat, wie gesagt, ein starkes bürokratisches Eigeninteresse und glaubt zudem an die Beherrschbarkeit von IT-Risiken. Netzanbieter wie die Deutsche Telekom wiederum wollen die eigenen Kosten möglichst niedrig halten – das geht natürlich am besten, wenn sie nur Dumpingpreise zahlen müssen. Das Sabotagerisiko ist für die Telekom dabei von nachrangiger Bedeutung. Außerdem hat sie bislang gute Erfahrungen mit Huawei gemacht. Aber nochmal: Das ist die Perspektive eines einzelnen Unternehmens. Hier aber geht es um eine politische, eine gesamtgesellschaftliche Frage: Wollen wir dem chinesischen Parteistaat die Möglichkeit einräumen, eine so kritische Infrastruktur zu sabotieren?

FOCUS Online: Auch die Politik steht einer Auftragsvergabe an Huawei offen gegenüber.

Benner: Es gibt viele Innen- wie Außenpolitiker, die Huawei kritisch gegenüberstehen. Aber die Befürworter scheinen gegenwärtig Oberwasser zu haben. Politiker, die eine Beteiligung Huaweis befürworten oder zumindest nicht ausschließen wollen, haben dafür ebenfalls in erster Linie kurzfristige wirtschaftliche Gründe. Denn zum einen wollen sie möglichst viel Geld mit der Versteigerung der 5G-Lizenzen verdienen und haben diese Gelder sogar schon in den Haushalt eingeplant. Und je billiger der Netzausbau wird, desto mehr kann der Staat von den Netzanbietern für die Frequenzen verlangen. Zum anderen wollen sie China als Wirtschaftspartner nicht vor den Kopf stoßen und haben Angst vor Pekings Vergeltungsmaßnahmen gegen die deutsche Industrie. Das beginnt ganz oben. Angela Merkel selbst scheint bereit, das Sabotagerisiko in Kauf zu nehmen, um einen Konflikt mit China zu vermeiden.

FOCUS Online: Steht die deutsche Regierung mit dieser Position in Europa alleine da? Oder gibt es Länder, die Huawei von vornherein ausschließen wollen?

Benner: In den wenigsten EU-Staaten ist die Debatte bereits entschieden. Nur wenige Länder, etwa Portugal und Malta, haben sich eindeutig für eine Beteiligung Huaweis ausgesprochen. Andere sind eher dagegen, hierzu zählt zum Beispiel Tschechien. Eine wichtige Rolle neben Deutschland wird Großbritannien spielen, da die Briten als Partner der USA in der Five Eyes“-Geheimdienstallianz sich sicherlich ganz genau überlegen werden, ob sie entgegen Trumps Forderungen Huawei akzeptieren. Sollten sie das tun, dann hätte das Signalwirkung für den Rest Europas.

FOCUS Online: Wenn es anders kommt und die Warnungen der USA doch noch erhört werden: Müssten wir dann Donald Trump dafür danken, dass er derzeit so hart mit China umspringt?

Benner: Wir müssten vor allem Australien danken. Denn die Australier haben als erste überlegt und sich entschieden, chinesische Anbieter auszuschließen. Das ist ihnen sicherlich nicht leicht gefallen, denn Australien pflegt ebenfalls enge Handelsbeziehungen zu China. Und sie zahlen schon jetzt einen Preis, weil China als Vergeltung den Kauf von Rohstoffen aus Australien reduziert hat. Außerdem haben sie selber kein einziges Unternehmen, das von der Entscheidung profitiert. Das übernehmen wie gesagt vor allem die Europäer. Anders als die USA stehen sie auch nicht auf anderen Gebieten im Technologiewettbewerb mit China. Eine deutlichere Antwort gibt es eigentlich nicht: Es handelt sich für Australien um eine Entscheidung, die rein aus Gründen der nationalen Sicherheit getroffen wurde. Und sie zeigt uns einmal mehr die Dringlichkeit, unsere Linie bei 5G zu überdenken. Noch ist ja nichts endgültig entschieden, auch in Deutschland nicht.

FOCUS Online: Huawei-Technik ist aber doch jetzt schon in deutschen Netzen verbaut. Heißt das, wir müssten Ihrer Meinung nach auch die bestehende Infrastruktur, etwa die 4G-Netze, von Huawei befreien?

Benner: Nein, das ist nicht unbedingt nötig und wäre auch sehr teuer. Wenn man beim 5G-Aufbau bewusst auf die bisher verbauten Komponenten verzichtet, muss man keinen Rückbau bei den bestehenden Netzen vornehmen. Mit 5G entstehen ganz andere Möglichkeiten, vor allem für die Industrie, aber auch in Bereichen wie der Telemedizin, der vernetzten Produktion und natürlich im Verkehr und der Verkehrssteuerung. Deshalb ist 5G eine weit kritischere Infrastruktur als die bisherigen Mobilnetze.

FOCUS Online: Und was wäre die Konsequenz, wenn es so käme, wie Sie es fordern? Steht die Welt vor einer Zweiteilung des Internets?

Benner: China fährt jetzt schon sein eigenes Internetmodell, mit einer Firewall nach außen und Zensur im Inneren. Die USA arbeiten jetzt zunehmend daran, China im Bereich Hochtechnologie vom Westen zu entkoppeln. Ob Europa da mitspielt, ist noch offen. Offen ist auch, wie sich der Rest der Welt verhält. In Afrika und Lateinamerika bietet China im Rahmen seiner digitalen Seidenstraße“ digitale Infrastruktur (oft mit Überwachungstechnologie) zu extrem attraktiven Preisen an. Westliche Wettbewerber haben darauf bislang kaum eine Antwort gefunden.

FOCUS Online: Wenn es um Alternativen zu den chinesischen Anbietern geht, reden alle nur von Nokia, Ericsson oder Samsung. Warum nehmen wir unser 5G-Schicksal eigentlich nicht komplett selbst in die Hand? Gibt es keine deutschen Firmen, die das, was Huawei leistet, auch leisten können?

Benner: Wir können froh sein, dass wir mit Nokia und Ericsson zwei europäische Anbieter haben, die den brutalen Wettbewerb mit staatskapitalistischen Anbietern aus China überlebt haben. Deutsche Anbieter wie Siemens sind seit langem aus dem Geschäft ausgestiegen. Der Konkurrenzdruck war zu hoch. In den letzten 10 bis 15 Jahren ist Huaweis Marktanteil immer größer geworden. Das Problem ist, dass China – der weltweit größte Markt — 75 Prozent des Marktes den einheimischen Anbietern vorbehält. Das ist ein enormer Wettbewerbsvorteil, gegen den wenige bestehen können. Gleichzeitig höhlt China auch im Ausland (wenn politisch gewollt) mit Dumpingpreisen den Markt aus.

So sind eben nur noch Ericsson, Nokia und Samsung übrig geblieben. Und diese können nur mit einem starken Heimatmarkt den Wettbewerb überleben.

FOCUS Online: Das erinnert an die Solarindustrie oder den Schiffsbau, die von China bereits in den Ruin getrieben wurden. Ist Huawei vielleicht Chinas größter wirtschaftlicher Angriff auf Europa – und wir merken es nicht einmal?

Benner: Huawei ist ein gutes Beispiel für den unfairen Wettbewerb mit den Champions des chinesischen Staatskapitalismus. Im Kern geht es bei 5G um unsere technologische Souveränität und unsere Sicherheit. Dazu müssen wir im Bereich kritische Infrastruktur sicherstellen, langfristig gute eigene Technologieanbieter zu haben.

FOCUS Online: Haben wir uns dieses Dilemma denn nicht auch selbst zuzuschreiben?

Benner: Ja, wir waren auf die schwierigen Entscheidungen beim 5G-Netzausbau schlecht vorbereitet. Dazu gehört auch der Wunsch, bei den Versteigerungen der 5G-Lizenzen möglichst viel Geld in die Staatskassen zu spülen. Dieses Geld fehlt den Unternehmen später für Investitionen. Gerade wenn es darum geht, die Netzabdeckung in der Fläche aufzubauen. In den USA sieht das übrigens ganz anders aus. Dort haben Netzanbieter eine höhere Kapitaldecke für die notwendigen Investitionen für einen schnellen Ausbau.

This interview was originally published by FOCUS Online on May 252019