Ein Ausweg aus Hongkongs politischer Krise
Die Gefahr ist groß, dass die politischen Ausschreitungen in Hongkong zwischen Anhängern Chinas und Befürwortern einer Unabhängigkeit der chinesischen Sonderverwaltungszone in der nächsten Zeit weiter eskalieren. Anfang November verhinderte China, dass die demokratisch gewählten Abgeordneten Yau Wai-Ching und Sixtus „Baggio“ Leung ihren Platz in Hongkongs Legislativrat einnehmen können. In Folge kam es zu wütenden gegen Peking gerichtete Massenprotesten in den Straßen Hongkongs. Grund für die Ausschließung war das Eintreten der beiden Kandidaten für eine Unabhängigkeit Hongkongs und die offene Verspottung Chinas.
Wüste Proteste sind genauso kontraproduktiv wie das Beharren auf einer Unabhängigkeit Hongkongs, die unerreichbar ist und nur die innere Spaltung der Stadt vorantreibt. Stattdessen sollten sich Demokratiebefürworter darauf konzentrieren, die Beibehaltung des Halbautonomiestatus über das Jahr 2047 heraus zu erreichen. In diesem Jahr hat Peking vorgesehen, die Stadt komplett ins eigene Staatsgebiet zu integrieren.
Seit der Unterzeichnung des „Ein Land, zwei Systeme“-Vertrages (verankert in der Verfassung des Stadtstaates) im Jahre 1997, durch welchen Hongkong nach 156 Jahren britischer Herrschaft an China zurückgegeben wurde, entscheidet ein Peking zugeneigtes Komitee über die Besetzung der obersten Beamten der Verwaltung. Zu Beginn des Abkommens hatten die Bürger noch die Hoffnung, dass sich mit dahinschreitender Zeit politische Reformen durchsetzen würden und so eine Regierung vom Volk gewählt würde, die diesem dann auf demokratischem Wege Rechenschaft schuldet. Knapp 20 Jahre später ist klar, dass die Reise in eine andere Richtung geht und Peking Hongkongs System nachhaltig beeinflusst.
Peking hat in letzter Zeit den Druck merklich erhöht. Festnahmen verschiedener Aktivisten, Journalisten und Anwälte auf Grund von „staatsgefährdender Aktivitäten“ gehören dabei genauso zur neuen Gangart wie die Entführung von Verlegern, welche provokative Bücher veröffentlichen.
Dieses Anziehen der Daumenschrauben erzürnt viele Bewohner Hongkongs genauso wie steigende Mieten, teurer werdende Grundnahrungsmittel, wachsende Ungleichheit sowie die zunehmende Migration vom Festland. Diese waren auch der Antrieb für die im Jahre 2014 entstandene „Regenbogen-Bewegung“, welche international Aufsehen mit ihren Forderungen nach Demokratie erregte und deren friedliche Proteste gewaltsam beendet wurden. Einige der zentralen Figuren der Bewegung wurden dann dieses Jahr in den Legislativrat gewählt.
Die jungen, auf ein freieres Hongkong hoffenden Bewohner sollten jedoch die Realitäten anerkennen. Erstens wird es Peking niemals zulassen, dass Hongkong unabhängig wird. Egal, wer am Ende zum Verwaltungschef gewählt wird: Er oder sie wird am Ende auf China hören. Wenn der nächste Verwaltungschef im März des kommenden Jahres gewählt wird, wird sich das Wahlkomitee vor allem aus chinafreundlichen Bewohnern zusammensetzen.
Zweitens muss die neue Generation der jungen Demokratiebefürworter verstehen, dass es keine Mehrheit in der Bevölkerung für eine Unabhängigkeit gibt. Auch wenn sich viele Bewohner eher als „Einwohner Hongkongs“ verstehen denn als „Chinesen“, bewundern viele den rasanten wirtschaftlichen Aufstieg Chinas und wollen enge familiäre sowie wirtschaftliche Beziehungen zum Festland nicht aufgeben.
Vor diesem Hintergrund sollten auch die führenden Demokratiebefürworter akzeptieren, dass das Statut von 1997 langfristig gesehen die einzige realistische Option darstellt, einige der Erscheinungsformen einer Demokratie zu bewahren. Aus diesem Grunde müssen sie schon jetzt damit beginnen, Unterstützung für eine uneingeschränkte Verlängerung nach 2047 zu sammeln.
Dabei sollten sie die Vorteile einer solchen Lösung für China herausstellen. Ein stabiles Hongkong zu erhalten, ist gut und wichtig für Chinas Wirtschaft und seine internationale Reputation. Trotz der politischen Übergriffe ist die Autonomie Hongkongs seit 1997 eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Die Sonderverwaltungszone ermöglicht chinesischen Unternehmen den Zugang zum internationalen Kapitalmarkt und ausländische Unternehmen nutzen Hongkong als Basis für Investitionen auf dem Festland. Dabei profitieren sie vor allem von den stabilen Investitionsbedingungen sowie unabhängigen Richtern.
Hongkong spielt zudem eine entscheidende Rolle für China bei dem Erwerb von technologischer und wirtschaftlicher Expertise. Auch stellt Hongkong für die chinesische Regierung einen idealen Test für eine Reihe von Finanzreformen dar, inklusive der Bemühungen, den Renminbi als globale Währung zu etablieren.
Grund für diese positiven Entwicklungen ist die Glaubhaftigkeit des „Ein Staat zwei Systeme“-Paradigmas, welches international agierenden Unternehmen Erwartungssicherheit und rechtlichen Schutz garantiert. Die chinesische Führung würde dies mit einer vollkommenen Eingliederung Hongkongs in China aufs Spiel setzen. Insofern können die Hongkonger gute Argumente vorbringen, die bestehenden Autonomie- und Freiheitsrechte der Stadt langfristig zu erhalten. Dies sollte das realistische Ziel aller freiheitsliebenden Hongkonger sein. So könnten sie langfristig Raum zum Atmen haben, trotz der immer fester werdenden Umarmung Chinas.
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This commentary, also available in English, originally appeared in Frankfurter Rundschau on December 16, 2016.