Commentary

Schluß mit dem Berliner Egotrip in der UNO

30 Nov 2010, 
published in
Financial Times Deutschland

Ab dem 1. Januar findet sich das Schild Germany“ wieder auf dem hufeisenförmigen Tisch des mächtigsten Klubs der Weltpolitik: Deutschland wird für zwei Jahre als nichtständiges Mitglied in den Uno-Sicherheitsrat einziehen. Wie Bundesaußenminister Guido Westerwelle treffend bemerkte, war die Wahl Vertrauensbeweis und Vertrauensvorschuss zugleich“. Doch wie kann Deutschland diesem Vorschuss gerecht werden?

Viel steht auf dem Spiel: Zum ersten Mal sind mit Brasilien, Indien, Südafrika, China und Russland die wichtigsten der gern als aufstrebend“ bezeichneten Mächte gleichzeitig im Sicherheitsrat. Die nächsten beiden Jahre sind ein Lackmustest, ob der alte Westen und die neuen“ Mächte konstruktiv zusammenarbeiten können. Und dies in einem Gremium, wo es – anders als in der G20 – um Krieg und Frieden geht und Mitglieder in Konflikten ständig Farbe bekennen müssen.

Dabei geht es auch um die Rolle des krisengeschüttelten Europa in dieser neuen Weltordnung. Der alte Kontinent stellt nun mit Deutschland, Portugal sowie den beiden ständigen Mitgliedern Großbritannien und Frankreich mehr als ein Viertel des Sicherheitsrats – doch wird Europa mit einer Stimme sprechen? Nur wenn Europa als eine geeinte Bastion für die Werte der Uno-Charta auftritt, macht sich die Union weltpolitisch zukunftsfähig.

Deutschland kann hierzu entscheidend beitragen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Berlin die richtigen Prioritäten setzt – und die Kampagne um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat aussetzt. Leider weist gerade hier die Bundeskanzlerin in die komplett falsche Richtung. Letzte Woche verkündete Angela Merkel tatenfroh, sie halte die zweijährige nichtpermanente Mitarbeit im Uno-Sicherheitsrat für eine sehr gute Möglichkeit“, die Bemühungen um einen ständigen Sitz voranzutreiben. Eine gefährliche Strategie. Nicht nur würde die Fortführung dieses deutschen Egotrips knappe diplomatische Ressourcen fressen, die Deutschland für die anspruchsvolle inhaltliche Arbeit im Sicherheitsrat benötigt. Sofort würden Länder wie Italien und Spanien – die der Kanzlerin seit der Euro-Krise mit großem Misstrauen begegnen – den Widerstand gegen Deutschland in New York intensivieren. Das Bild würde an die desaströse Zeit der Irakdebatte 2003 erinnern und wäre fatal: Europas Staaten sind heillos zerstritten. Und vom Rest der Welt wird sich Deutschland anhören müssen, dass man Berlin als drittgrößten Beitragszahler schätze, aber Europa im Sicherheitsrat überrepräsentiert ist.

Eine Chance für eine Stimme

Ganz anders ist die Situation, wenn sich Deutschland vom Mühlstein der Bewerbung um einen ständigen Sitz befreit. Die Bundesregierung kann verlorene europapolitische Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, indem sie sich im Sicherheitsrat für ein gemeinsames europäisches Auftreten einsetzt. Dazu gehört auch, den Vorschlag Portugals zu unterstützen, einen Vertreter des neuen Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) mit in die Sicherheitsratsdelegation zu nehmen. Dies wird für die auf ihren Sonderstatus erpichten ständigen Mitglieder Frankreich und Großbritannien gewöhnungsbedürftig sein – aber wenn Deutschland mit 24 weiteren EU-Staaten Momentum dafür aufbaut, sähe der Widerstand der Alteingesessenen kleinkrämerisch aus. Und auch der gemeinsame EU-Sitz erschiene dann nicht wie ein Alibi-Argument für das Streben nach einem deutschen Sitz, sondern als denkbare mittelfristige Lösung.

Auch gegenüber dem Rest der Welt könnte Deutschland dann befreit agieren. Der Schwarze Peter der Sicherheitsratsreform fiele so Asien, Afrika und Lateinamerika zu, die sich jeweils auf einen Vertreter in einem erweiterten Sicherheitsrat verständigen müssten. Wichtiger noch: Deutschland könnte die Ressourcen des Teams um den herausragenden deutschen Uno-Botschafter Peter Wittig allein dazu nutzen, inhaltliche Akzente zu setzen.

Bedarf dafür werden die zahlreichen Krisen liefern, mit denen der Sicherheitsrat in den kommenden beiden Jahren konfrontiert sein wird. Bei zwei absehbaren Krisenherden kann Deutschland besondere Akzente setzen. Erstens im Fall Afghanistan. Hier kommt Deutschland eine zentrale Rolle zu, da es auf Bitten der afghanischen Regierung eine internationale Petersberg plus zehn“-Konferenz Ende 2011 ausrichten wird. Im Sicherheitsrat sollte sich Deutschland dafür einsetzen, dass Afghanistan im Falle des Nato-Rückzugs nicht einfach einer überforderten Uno-Mission vor die Füße geworfen wird.

Zweitens im Fall Sudan, dem neuralgischen Punkt der Uno-Friedenssicherung in Afrika. Hier droht nach dem Referendum Anfang des neuen Jahres ein Krieg, falls sich der Süden vom Norden lossagt. Der offizielle Geburtstermin eines unabhängigen Südsudan fiele in den Juli – wenn die Deutschen für einen Monat die Präsidentschaft des Sicherheitsrats übernehmen. Insbesondere auf China und Indien, die im Sudan wirtschaftlich und politisch stark engagiert sind, sollte Deutschland Druck ausüben, sich für eine friedliche Lösung starkzumachen. Deutschland würde dann entscheidend an der Mandatierung einer neuen Blauhelmmission im Südsudan mitwirken. Generell sollte sich Deutschland für eine Stärkung des Instrumentariums der Uno-Blauhelme einsetzen.

All dies erfordert das Bohren dicker Bretter, aber im Erfolgsfall wäre die Wirkung enorm. Ende 2012 könnte Deutschland stolz auf ein gestärktes Europa in einem handlungsfähigeren Sicherheitsrat zurückblicken. Dann wäre es dem vom Außenminister zitierten Vertrauensvorschuss mehr als gerecht geworden – statt diesen mit einer Fortführung der eigensinnigen Kampagne für einen ständigen Sitz zu verspielen.