Commentary

Die Brandmauer gegen die AfD ist endgültig eine Illusion

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Werbeplakat der AfD für die Wahl in der nächsten Woche.  | Photo: conceptphoto.info/flickr (CC BY 2.0)
17 Feb 2025, 
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Stern

US-Vizepräsident J.D. Vance forderte am Freitag bei der Münchener Sicherheitskonferenz, dass die deutschen Parteien sich für die Zusammenarbeit mit der AfD öffnen sollten. Es gibt keinen Platz für Brandmauern”, sagte er in einer Rede, die über weite Strecken den Kulturkampf der Neuen Rechten beförderte. Danach traf sich Vance mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel.

Die symbolische Bedeutung ist enorm. Die USA, die Westdeutschland nach 1945 den Aufbau einer liberalen Demokratie ermöglichten und 1990 eine Wiedervereinigung in Freiheit unterstützten, setzen sich nun für die Regierungsbeteiligung einer Partei ein, bei der einzelne Landesverbände wie in Thüringen als verfassungsfeindlich eingestuft sind. Die Rede macht die Agenda von US-Präsident Donald Trump und seinem Vize Vance für Europa klar: Sie wollen in allen Staaten Rechtsaußen-Parteien den Weg an die Macht ermöglichen. 

Empörung über die Worte auf der Münchner Sicherheitskonferenz reicht nicht

Klar, wir können diese Einflussnahme eindeutig zurückweisen. So wie es richtigerweise deutsche Politiker von Olaf Scholz bis Friedrich Merz taten. Nur sollten wir uns ehrlich machen: Empörung allein löst das Problem nicht. Und mindestens genauso wichtig: Wenn wir über die Verteidigung der Demokratie gegen Rechtsaußen sprechen, geben wir uns gern Illusionen hin. Man könnte auch sagen: einem Selbstbetrug. 

Wir sind die Brandmauer” lautete das Motto vieler Demonstrationen in den vergangenen Wochen. Ziel ist es, die CDU und CSU dazu zu bringen, jegliche Kooperation mit der AfD zu unterlassen. Die Hoffnung vieler ist, dadurch die Demokratie zu stabilisieren, ohne zum scharfen Schwert eines Parteiverbotsverfahrens gegen die AfD greifen zu müssen. 

Die Union wird es zerreißen

Die Verfechter der Brandmauer gegenüber der AfD sollten anerkennen, dass dieser Ansatz mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einer aussichtslosen Wette gegen die politische Schwerkraft gleichkommt. Es ist nicht sehr realistisch zu glauben, dass die Brandmauer längerfristig Bestand haben kann. 

Zum einen führt sie unbeabsichtigt mit dazu, dass die AfD immer stärker wird und der Brand immer mehr über die Mauer lodert. Thüringen gibt darauf einen Vorgeschmack. Es sind immer heterogenere Koalitionen notwendig, deren einziger Zweck darin besteht, die AfD von der Macht fernzuhalten. Gut regieren und die Probleme der Bürger lösen” als Antwort auf die AfD wird in immer wilder zusammengewürfelten Konstellationen immer schwerer möglich. Gleichzeitig kann sich die AfD im Laufe des Prozesses immer wirksamer als einzige Alternative zu den Systemparteien” in Szene setzen. 

Zum anderen wird die taktische Lage für Konservative in der Union immer frustrierender. Die AfD zu ihrer Rechten wird immer größer, während sie in Koalitionen immer unbefriedigendere Kompromisse mit Mitte-Links-Parteien eingehen muss. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass CDU-Chef Merz seine Partei auf Länderebene längerfristig disziplinieren kann, keinerlei Kooperation mit der AfD einzugehen.

Dass Merz im Bundestag zuletzt gemeinsame Abstimmungen mit der AfD in Kauf genommen hat, wird die Fliehkräfte gegen das Verbot jeglicher Zusammenarbeit gerade in den ostdeutschen Landesverbänden noch einmal erhöhen. Sollte es zur formellen Zusammenarbeit mit der AfD in einzelnen CDU-Landesverbänden kommen, droht dies die Partei zu zerreißen. Tragischerweise hat die AfD mit ihrer Wette auf die Auflösung und Zersplitterung der CDU als christdemokratische Volkspartei keine schlechten Erfolgsaussichten. 

Ein Verbot der AfD ist eine ernsthafte Alternative

Die Schlussfolgerung daraus ist klar: All’ diejenigen, die überzeugt sind, dass sich eine AfD durch eine Regierungsbeteiligung nicht entzaubert oder demokratisiert und deshalb nicht in die Nähe von Regierungsverantwortung gelangen darf, können nicht einfach auf den Fortbestand der Brandmauer bauen. Sie müssen sich ernsthaft mit einem Verbotsverfahren für die AfD auseinandersetzen, auch wenn dies eine schlechte und riskante Option ist. Wie Merz Anfang des vergangenen Jahres aus dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens zu schlussfolgern, dass man eine Partei mit solch großen Wählerzuspruch nicht verbieten kann, führt jedenfalls in die Irre. 

Das Bundesverfassungsgericht hat den NPD-Verbotsvertrag 2017 nicht abgelehnt, weil es die Partei nicht für verfassungsfeindlich hielt. Das Gericht hielt es für erwiesen, dass die NPD planvoll und qualifiziert auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele” hinarbeitet. Grund für die Ablehnung des Antrags auf Parteiverbot war vielmehr, dass bei der Kleinpartei NPD konkrete Anhaltspunkte mit Gewicht” fehlten, dass sie damit erfolgreich sein kann. Somit ist es gerade die Tatsache, dass die AfD bundesweit derzeit rund 20 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereint, die den Erfolg eines Verbotsverfahrens sogar wahrscheinlicher macht. Genau das ist das Grundprinzip der wehrhaften Demokratie” des Grundgesetzes, das auch dem US-Vizepräsidenten in seiner gestrigen Rede nicht geläufig schien.

Egal, ob man letztlich ein Verbotsfahren in Angriff nimmt, sollten demokratische Parteien mit Nachdruck auf Landes- und Bundesebene einen AfD-Stresstest” der Regeln der Verfassungsorgane wie Gerichten oder Parlamenten durchführen. Diese sollten so angepasst werden, dass es der AfD im Falle einer Regierungsbeteiligung möglichst schwer gemacht wird, liberal-demokratische Grundprinzipien auszuhebeln.

Letzter Schuss der demokratischen Mitte 

Zudem sollte gelten, dass das Einstehen für liberale Demokratie kein rein defensives Projekt sein darf. Die Verteidigung der Demokratie seitens SPD, Grünen und auch vielen zivilgesellschaftlichen Kräften wirkte in der letzten Zeit oft wie ein seltsam ideenlos-konservatives Projekt. Dabei stimmt es durchaus, dass Demokratie keine Spielwiese für Disruptionsfantasien von Tech-Oligarchen wie Elon Musk sein sollte, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Freitag formulierte. Doch wenn das Projekt der liberalen Demokratie weiter erfolgreich sein will, muss es gerade in Zeiten großer technologischer Umbrüche auch um die Weiterentwicklung und Verbesserung gehen – nicht nur um Bewahrung.

Gleichzeitig muss allen klar sein, was mit Blick auf die nächste Bundesregierung auf dem Spiel steht. Es könnte der letzte Schuss der demokratischen Mitte gewesen sein, falls sich die Koalition wieder selbst zerlegt. In den vergangenen Jahren begleitete die CDU/CSU-Opposition mit viel Häme die Selbstdemontage der Ampel. Die neue demokratische Opposition sollte die Arbeit der nächsten Koalition kritisch begleiten. Doch egal wie schwer es einigen fällt nach den letzten Wochen: Falls die Union die Wahl gewinnt, sollte allen demokratischen Kräften am Erfolg eines Kanzlers Friedrich Merz liegen. 


Dieser Beitrag wurde ursprünglich am 15. Februar 2025 vom Stern als Online-Artikel veröffentlicht.