Russland und die Ostsee: Was gegen Russlands Meeressabotage wirkt
In seiner ersten großen Rede nach dem Amtsantritt als Nato-Generalsekretär diagnostizierte Mark Rutte im Dezember 2024: “Wir sind nicht im Krieg. Aber wir sind sicherlich auch nicht im Frieden.” Rutte spielte damit unter anderem auf die Angriffe auf Europas kritische Infrastruktur an. Diese nannte er einen “Teil einer koordinierten Kampagne, unsere Gesellschaften zu destabilisieren”.
Ein entscheidendes Schlachtfeld dafür ist die Ostsee. Hier gab es in den vergangenen beiden Jahren gleich mehrere große Zwischenfälle mit chinesischen und russischen Frachtern. Im Oktober 2023 beschädigte die Newnew Polar Bear offenbar eine Gaspipeline, im vergangenen Dezember zerstörte das Schiff Yi Peng 3 zwei Unterseekabel mit dem Schiffsanker. Die Eagle S,ein Tanker von Putins Schattenflotte, beschädigte Ende Dezember ein wichtiges Untersee-Stromkabel zwischen Finnland und Estland. Vor Kurzem havarierte die Eventin, ein weiterer Tanker der Schattenflotte, vor Rügen.
Gerade wegen solcher Angriffe sollte vom Nato-Ostsee-Gipfel, der an diesem Dienstag in Helsinki beginnt, ein klares Signal ausgehen. Er ist der erste mit Fokus auf die kritische Unterwasserinfrastruktur für Daten und Energie. Dort sollte es darum gehen, wie sich die russische Schattenflotte ausschalten lässt und wie die Mitgliedsstaaten in Aufklärung, Abschreckung und Resilienz investieren können. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz reist zum Gipfel, er sollte einen entschlossenen deutschen Beitrag in Aussicht stellen.
Wie dringend ein solches Vorgehen gegen Russlands Schattenflotte ist, zeigt der havarierte Tanker Eventin deutlich. Das Schiff ist nach einem Stromausfall manövrierunfähig, es hat 99.000 Tonnen Öl geladen. Moskau nimmt drohende Umweltkatastrophen durch die unversicherten Schiffe billigend in Kauf. Außenministerin Baerbock spricht aus gutem Grund vom “ruchlosen Einsatz einer Flotte von rostigen Tankern”. Die russische Flotte besteht mutmaßlich aus Hunderten solcher Schiffe. Mit ihnen will es westliche Sanktionen umgehen.
Doch die gute Nachricht ist: Der Westen kann die Tanker mit gezielten Sanktionen ausschalten. Europa hat bereits mehr als 70 Schiffe sanktioniert. Noch schwerer wiegt derumfassende Schlag der Biden-Administration am vergangenen Freitag gegen 183 Schiffe. Selbst chinesische Häfen respektieren die US-Sanktionen aufgrund der Übermacht des Dollars.
Sabotage ist schwer zu verhindern
Die wirtschaftlichen und umweltpolitischen Fragen sind die eine Sache, die Sabotageakte gegen die kritische Infrastruktur auf See eine andere. Dagegen vorzugehen, ist weitaus schwieriger. Das zeigen die Ergebnisse eines aktuellen Forschungsprojektes des Global Public Policy Institute (GPPi) in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt. Jene Infrastruktur ist ein attraktives Ziel für Grauzonen-Operationen unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Konflikts. Es sei relativ einfach, “Schaden anzurichten, ohne erwischt zu werden”, bemerkte(PDF) die Deutsche Marine in einer Anhörung des Deutschen Bundestags im vergangenen Sommer. Die Weiten des Meeres erschweren eine lückenlose Überwachung und Aufklärung von Angriffen. Außerhalb der eigenen territorialen Gewässer haben Staaten nur eine schwache rechtliche Handhabe, um gegen verdächtige Schiffe vorzugehen.
Es ist gut, dass die betroffenen europäischen Staaten in Sachen Zusammenarbeit und Entschlossenheit bei der Aufklärung von Sabotage dazulernen. Und es ist dringend, wie man im September 2022 sehen konnte, nachdem die Nord-Stream-Pipeline gesprengt wurde.
Damals behinderte Polen die Ermittlungen deutscher Behörden und ließ einen ukrainischen Hauptverdächtigen entkommen. Damit sendete Warschau ein fatales Signal: Mit der rechtsstaatlichen Zusammenarbeit in Europa bei Ermittlungen gegen Angriffe auf kritische Infrastruktur nehmen wir es nicht so ernst, wenn uns die Richtung nicht passt.
Im Oktober 2023 verdächtigten die finnischen Behörden recht schnell die Newnew Polar Bear,für die Schäden an der Erdgaspipeline Balticconnector verantwortlich zu sein. Sie fanden an der beschädigten Pipeline auch Farbspuren, die eindeutig vom Anker des unter chinesischer Flagge fahrenden Schiffs stammen. Doch der Frachter war da längst nach Russland und dann in den chinesischen Heimathafen weitergefahren.
Im Fall der Yi Peng 3, die im November 2024 ebenfalls mutmaßlich mit dem Anker mehrere Datenkabel durchtrennte, handelten die betroffenen Staaten erstmals entschlossener. Schiffe der dänischen, schwedischen und deutschen Marine und Küstenwache setzten den Frachter im Kattegat zwischen Dänemark und Schweden fest, bis chinesische Behörden eine gemeinsame Befragung erlaubten. Diese Zustimmung ist rechtlich erforderlich, weil sich das Schiff außerhalb der Hoheitsgewässer befand.
Beim Fall des unter Flagge der Cookinseln fahrenden Schattenflotten-Tankers Eagle S, der Ende Dezember 2024 ein wichtiges Untersee-Stromkabel zwischen Finnland und Estland sowie mehrere Datenkabel durchtrennte, gingen die finnischen Behörden maximal entschlossen vor. Finnische Sicherheitskräfte übernahmen das im Hoheitsgewässer befindliche Schiff und setzten die Besatzung sowie das Schiff in einem finnischen Hafen zur Untersuchung fest.
Es mangelt an Resilienz
Doch die Bilanz der Ermittlungen ist in allen Fällen bislang mager. Bislang gibt es keine klaren Erkenntnisse, wer die Mannschaften der zivilen Schiffe zur Sabotage instruiert hat. Haben Pekings Geheimdienste Kenntnis gehabt oder gar mit russischen Diensten kooperiert, um die beiden chinesischen Schiffe zur Sabotage zu bringen? Hat Moskau Teile der größtenteils indischen und georgischen Besatzung der Eagle S bestochen oder erpresst?
Die Abschreckung zukünftiger Sabotage funktioniert nur, wenn die Angreifer Sorge haben, entdeckt zu werden und einen hohen Preis zu zahlen. Davon sind sie gegenwärtig weit entfernt. Dass die Nato Schiffe zur Überwachung mobilisiert, ist ein richtiger Schritt. Der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack, schlägt richtigerweise ein Zusammenführen von Sensordaten aus zivilen, staatlichen, nichtstaatlichen und militärischen Quellen für ein optimales Lagebild vor. Er mahnt zudem ein besseres Zusammenspiel von Marine, Bundespolizei See und anderen für die kritische Infrastruktur auch an Land zentralen staatlichen und privaten Stellen an. Für bessere Überwachung benötigt die Marine auch mehr Unterwasserdrohnen.
Doch es braucht nicht nur mehr Abschreckung und Aufklärung, sondern auch mehr Resilienz: Redundante Energie- und Datenverbindungen sind teuer, aber unverzichtbar. Es braucht weit mehr Kapazitäten bei Reparaturschiffen. Es ist fatal, dass bislang kein Reparaturschiff für das im Dezember beschädigte Stromkabel zwischen Finnland und Estland gefunden werden konnte. Europa sollte die eigene Industrie im Bereich Unterseekabel stärken und dafür sorgen, dass chinesische Unternehmen in Europa keine Rolle spielen bei kritischer Infrastruktur, sei es bei Untersee-Daten- und Stromkabeln oder Windfarmen.
Ein über den Meeresgrund gezogener Anker ist ein denkbar einfaches Sabotagemittel, doch bereits das stellt Europa vor bislang ungelöste Probleme. Es ist umso wichtiger, den Stresstest für diese kritische Infrastruktur auch für den Kriegsfall durchzuführen. Russland bereitet sich mit seiner Unterseeflotte systematisch auf den Kriegsfall vor, in dem mit sehr viel stärkeren Angriffen zu rechnen wäre. Das wäre im Übrigen nichts Neues. Eine der ersten Handlungen Großbritanniens im Ersten Weltkrieg war es, vier der fünf Telegrafenkabel des Deutschen Reiches zu durchtrennen – und das einzig verbliebene zu Spionagezwecken anzuzapfen.
Dieser Artikel wurde ursprünglich von ZEIT ONLINE am 13. Januar 2025 veröffentlicht.