Commentary

Olaf Scholz in China: Der Kanzler muss deutsche Kerninteressen verteidigen

Benner 2024 Scholz in China
Chancellor Olaf Scholz at a press conference in June 2023.  | Photo: Alexandros Michailidis/Shutterstock
15 Apr 2024, 
published in
Der Spiegel

Die chinesische Führung warnt die USA und Europa regelmäßig, chinesische Kerninteressen“ nicht zu verletzen. Bei seiner Chinareise, zu der Olaf Scholz am Samstag aufbricht, sollte der Bundeskanzler den Spieß umdrehen.

Die wichtigste Botschaft an Xi Jinping sollte sein: Peking verletzt wirtschafts- und sicherheitspolitisch durch unfairen Wettbewerb sowie die Unterstützung Russlands deutsche und europäische Kerninteressen – und das hat Konsequenzen für die Beziehung.

Es ist richtig, dass der Kanzler zum zweiten Mal nach dem Besuch im November 2022 einen ausführlichen Austausch mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping sucht. Im zunehmend auf Xi zugeschnittenen Herrschaftssystem ist das persönliche Gespräch der einzig verlässliche Weg, zentrale Botschaften zu vermitteln und kontroverse Themen zu diskutieren.

Die chinesische Seite wird den Eindruck von einem business as usual“ in den Beziehungen zu vermitteln suchen, trotz der von der Bundesregierung im vergangenen Sommer unter dem Motto De-Risking“ (Risikominderung) verabschiedeten Chinastrategie. Einige deutsche Unternehmensführer helfen beim Schaffen dieses Eindrucks sehr fleißig mit.

Markus Söder diente sich der chinesischen Führung an

Mercedes-CEO Källenius, der den Kanzler als Teil einer zwölfköpfigen Wirtschaftsdelegation begleiten wird, kündigte an, mehr, nicht weniger im (so seine liebevolle Umschreibung) zweiten Zuhause“ des Konzerns zu investieren. Ähnliches ist von BASF-Chef Brudermüller zu hören.

Doch angesichts der Rekordinvestitionen einiger weniger Großkonzerne frohlockte die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua im Februar dieses Jahres: Deutsche Unternehmen ignorieren die Predigt vom De-Risking’“. Vor zwei Wochen konnte sich Peking zudem über den Besuch des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder freuen, der sich Peking mit vorgeblicher Real-statt Moralpolitik“ andiente und die Chinastrategie der Bundesregierung und auch der CDU/CSU-Fraktion unterminierte .

Scholz sollte bei seinem Besuch zum Ausdruck bringen, dass wahre Realpolitik das Gegenteil der Unterwürfigkeit à la Källenius und Söder ist. Genau wie Peking ganz selbstverständlich seine Interessen verteidigt, sollte Scholz dies selbstbewusst tun. Mit Blick auf die seit Jahren überfällige 5G-Entscheidung sollte Scholz Peking nüchtern über ambitionierte Maßnahmen zum Schutz kritischer Infrastruktur in Kenntnis setzen, die auf einen schrittweisen Ausschluss chinesischer Hochrisikoanbieter wie Huawei hinauslaufen.

Von den diese Woche wiederholten Drohungen des chinesischen Botschafters Wu Ken, Peking würde einem (Teil)-Ausschluss Huaweis sicher nicht tatenlos“ zusehen, sollte sich der Kanzler nicht beeindrucken lassen. Scholz kann eine Vereinbarung auf Gegenseitigkeit vorschlagen und Peking zu verstehen geben, dass die europäischen Anbieter Nokia und Ericsson die verbleibenden geringen Marktanteile in China problemlos verlieren können. Falls sich Xi (wie Ende März gegenüber dem niederländischen Premier Rutte) über Exportkontrollen bei kritischen Technologien wie Halbleitern beschwert und moniert, hier werde das legitime Recht auf Entwicklung“ des chinesischen Volkes eingeschränkt, sollte der Kanzler dem ebenfalls nüchtern begegnen.

Exporteinschränkungen bei Militärtechnologie sind Friedenspolitik

Die chinesische Führung hat kein Recht darauf, militärische Modernisierung mit westlichen Technologien zu betreiben. Die Chancen auf Frieden und Stabilität im Indopazifik sind umso größer, je mehr die Pekinger Führung Zweifel an den Fähigkeiten des eigenen Militärs im direkten Konflikt mit den USA und Verbündeten hat (etwa mit Blick auf Taiwan). Insofern sind Exporteinschränkungen bei militärisch relevanten Technologien praktizierte Friedenspolitik.

Ebenso nüchtern wie entschlossen sollte Scholz mit Xi die Probleme unfairen Wettbewerbs ansprechen, mit Blick auf Industrien wie E‑Mobilität oder Windkraft. Vor einem guten Jahrzehnt verhinderte Deutschland Strafzölle gegen chinesische Solarfirmen, die massiv von staatlichen Subventionen profitierten. Die Folge war die weitgehende Vernichtung der damals weltweit führenden deutschen Solarindustrie durch chinesische Wettbewerber. Dieser Preis war für Deutschland verkraftbar. Heute ist die Situation eine grundlegend andere: Die Automobilindustrie ist eine Kernindustrie. Und Windkraft ist zwar keine große Industrie, aber zentrale Technologie für die Energiewende.

Die Botschaft an Peking sollte sein: Europa wird reagieren müssen gegen unfairen Wettbewerb, solange Peking keine Abhilfe schafft. Dies birgt Risiken der wechselseitigen Eskalation von Strafmaßnahmen. Doch das Risiko des Nichtstuns ist höher. Kanzler Scholz sollte auf keinen Fall den Fehler machen, EU-Strafzölle als Druckmittel vom Tisch zu nehmen, zumal dies nur den Dissens mit Paris und Brüssel verschärfen würde. Auch ist die Verhandlungsposition Europas aktuell eine vergleichsweise gute, weil Chinas Wirtschaft alles andere als rund läuft und Peking deshalb wenig Interesse an einem eskalierenden Handelskrieg hat.

Chinas Unterstützung des russischen Kriegs muss Folgen haben

Weiterhin sollte der Kanzler Xi klarmachen, dass fortwährende Unterstützung Chinas für Russlands Feldzug gegen die Ukraine deutsche und europäische Kerninteressen verletzt und Konsequenzen für die Beziehung hat. Alexander Gabuev vom Carnegie Endowment for International Peace in Berlin stellte diese Woche treffend fest: aufgrund der grenzenlosen Partnerschaft“ von Xi und Putin gegen die USA sind Russland und China heute enger verbunden als jemals zuvor seit den Fünfzigerjahren. Deutschland und Europa können dies nicht ändern, aber müssen Peking den Preis deutlich machen, sollte China die Unterstützung von Putin, der im Mai in Peking erwartet wird, weiter ausbauen.

    Scholz sollte gegenüber Xi die Botschaft von US-Finanzministerin Janet Yellen unterstützen, die Peking beim Besuch vor einer Woche vor schweren Konsequenzen warnte, wann immer es militärisch nutzbare Güter an Russland liefert. Gleichzeitig kann Scholz signalisieren, dass Deutschland Kooperation mit Peking, wo immer konstruktiv möglich, voranzutreiben versucht: sei es mit Blick auf die Verschuldungskrise vieler armer Länder oder Bemühungen um Verhinderung einer Eskalation zwischen Iran und Israel.

    Bei allem muss gelten: Die Positionen des Kanzlers sollten nicht nur innerhalb der Regierung, sondern auch europäisch mit den wichtigsten Partnern abgestimmt sein. Anfang Mai reist Xi nach Paris. Scholz und Macron sollten sicherstellen, dass sie gegenüber Xi ähnliche Botschaften senden. Sonst verzwergen sie sich (und Europa) unnötig gegenüber Peking.


    This commentary was first published in DER SPIEGEL on April 132024.