Commentary

Schröders Liaison mit Peking: Die unterbelichtete China-Karriere des Altkanzlers

Benner 2024 Schröder
Former Chancellor Gerhard Schröder in Chengdu during a September 2023 visit to China.  | Photo: Lucas Stratmann/NDR
05 Apr 2024, 
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ZEIT Online
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Wenn zum 80. Geburtstag des Altkanzlers an diesem Sonntag die verlorene Ehre des Gerhard Schröder diskutiert wird, dann stehen seine Kumpanei mit Russlands Präsident Wladimir Putin und seine Käuflichkeit durch Kreml-Unternehmen wie Rosneft und Nord Stream im Mittelpunkt. Meist übersehen wir dabei allerdings die ähnliche Rolle, die Schröder mit Blick auf China spielt. Dasselbe fatale Zusammenspiel aus Ego, Ideologie und Profit hat den Altkanzler zu einem dienstbaren Geist des chinesischen Parteistaats gemacht. Und genau wie bei Schröders Russland-Connection gilt für seine Liaison mit Peking: Der SPD-Altkanzler ist der dickste Fisch, aber im Teich tummeln sich noch viele andere, auch aus CDU/​CSU und FDP. Peking hat es perfektioniert, ehemalige deutsche Politikerinnen für seine Zwecke einzuspannen.

Als er 2005 aus dem Amt des Bundeskanzlers ausschied, hatte Schröder sich durch seine tatkräftige Pro-Peking-Politik den, wie er selbst sagt, wunderbaren Ehrentitel“ des Alten Freunds des chinesischen Volkes“ verdient. Gegen Ende seiner Amtszeit etwa setzte sich Schröder nachdrücklich für ein Ende des Waffenembargos gegen China ein, das Europa 1989 nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens verhängt hatte. Er war damit nicht erfolgreich (das Embargo besteht bis heute), doch der bleibende Dank Pekings war ihm dennoch gewiss. Schröder ist als Altkanzler ein gern gesehener Gast in China. Er reist (so schrieb er 2009 in einem ZEIT-Artikel selbst) drei- bis viermal pro Jahr ins Reich der Mitte. Und fast immer tut er dies mit dem Ziel, etwas fürs eigene Ego oder das Bankkonto zu tun. Nicht selten übernimmt dabei der chinesische Parteistaat über eines seiner Vehikel die Kosten. Wie hoch die Aufwandsentschädigungen sind, ist nicht öffentlich. Der SPIEGEL schrieb 2007: Schröder schweigt über seine Privatgeschäfte; mitunter reagiert er so empfindlich, als ob jemand wieder behauptet hätte, er töne sich seine Haare“. Nachdem Schröder 2007 bei einer Textilfirma in der chinesischen Stadt Wenzhou einen Vortrag zur Frage Wie etabliert man eine internationale Marke?“ gehalten hatte, mutmaßte eine Lokalzeitung, dass jedes Wort des Ex-Kanzlers 100 Euro gekostet haben muss. 

Vom Staatsfonds des kommunistischen Regimes, der China Investment Corporation, ließ sich Schröder in den internationalen Beirat berufen. Als Beiratsmitglied berät er nun ein zentrales Instrument der wirtschaftlichen Machtausübung Pekings. Mit seiner Reputation als Altkanzler verziert Schröder damit ein Kronjuwel des autoritären Staatskapitalismus. Zudem betätigt er sich laut Presseberichten als Türöffner für Investoren in China. So stand Schröder etwa beim Schweizer Ringier-Verlag unter Vertrag. Nach Angaben eines Berichts des SPIEGEL verschaffte er dessen Verlagschef 2006 Zugang zum für Verlage zuständigen Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei. Martin Herrenknecht, Chef des gleichnamigen, in China investierten Tunnelbohrers, zeigte sich (so zitiert ihn ein SPIEGEL-Bericht) von Schröders Türöffnerqualitäten begeistert: Schröder ist ein toller Typ, der ist für uns Mittelständler ideal. Der hat gute Kontakte“. Laut SPIEGEL überließ Herrenknecht Schröder nach gemeinsamen Terminen in China als Dank sogar seinen Firmenjet für den Rückflug nach Deutschland. Er selbst reiste per Linienflug weiter zu anderen Verpflichtungen in Asien. 

Auch als knapp 80-Jähriger tourt der Altkanzler weiterhin sichtlich vergnügt durch China, hält Reden, besucht Unternehmen, lässt sich bei Empfängen wie ein Staatsgast feiern. Für einen gerade erschienenen und sehr sehenswerten NDR-Dokumentarfilm gewährte Schröder Einblicke in eine seiner China-Reisen. Der Filmemacher Lucas Stratmann begleitete ihn letzten September nach Wuhan, Wuxue und Chengdu. Verantwortlich für das Programm und die Organisation war die Global Alliance of Small and Medium Enterprises (GASME), formell eine Nichtregierungsorganisation mit Konsultativstatus bei den Vereinten Nationen. De facto ist die GASME ein Instrument des chinesischen Parteistaats, das unter anderem prominente internationale Redner für Veranstaltungen, die Pekings Zielen dienen, nach China bringt. Für Gäste wie Schröder bietet die Organisation das Rundum-sorglos-Paket einer komplett organisierten Reise – Entwürfe für Reden inklusive. Es ist leicht, Schröders Reise als Kuriositätenkabinett zu karikieren. Beim Besuch der Wuchang University of Technology wird ihm plötzlich eine Ehrendoktorwürde verliehen. Beim Firmenbesuch der China Yunhong Group fachsimpelt Schröder über essbares Geschirr. Und abends gibt es für den Altkanzler ein Galadinner mit Fähnchen schwenkenden Kindern. Doch wie eng der Besuch politisch von Peking gesteuert wurde, zeigt sich daran, dass Shi Mingde, der ehemalige chinesische Botschafter in Deutschland, als Begleitung für den Besuch abgestellt war und Schröder im Film mit Umarmung begrüßt. Shi ist die graue Eminenz in Pekings Beziehungen zu Deutschland. Nach seiner Reise nahm Schröder dann am jährlichen Forum des chinesischen Staatsfonds in Hong Kong teil. 

Schröder genießt sichtlich die Wertschätzung, die ihm in China allenthalben entgegengebracht wird – anders als im eigenen Land. Im Gegenzug teilt er tatkräftig gegen Außenministerin Annalena Baerbock aus, die für einen realistischeren Blick auf China eintritt. Er halte es, so gibt er Stratmann im Film zu Protokoll, für eine schreckliche Fehlentwicklung, was da außenpolitisch für Porzellan zerschlagen“ werde. Professionalität“ sei im Auswärtigen Amt aktuell eher unterentwickelt“. Professionalität heißt für Schröder offensichtlich, mit Verve pekingfreundliche Positionen zu vertreten, auch abseits des Faktischen. So behauptete Schröder 2009 etwa: Deutschland betrachtet sowohl Tibet als auch Taiwan als Teil Chinas“. Nur ist dies grob falsch. Im Rahmen der deutschen Ein-China-Politik erkennt Deutschland ausdrücklich nicht Pekings Souveränität über Taiwan an. In einem Interview im letzten Jahr mahnte Schröder zudem an, China dürfe nicht dafür kritisiert werden, dass es keine Seite einnehme im Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Im Gegenteil: Pekings friedliche Position sei eine treibende Kraft für die Lösung des Konflikts. Dass Peking Moskaus Krieg tatkräftig unterstützt und Chinas Präsident Xi eine grenzenlose Partnerschaft mit Putin vereinbart hat, verschweigt Schröder. Auch mit Blick auf die Wirtschaftsbeziehungen sind Schröders Worte Musik in den Ohren von Pekings Mächtigen. Schon 2008 mahnte Schröder: Die wirtschaftliche Verflechtung muss intensiviert werden. Nach der schnellen Handelsausweitung sollten als nächster Schritt die gegenseitigen Unternehmensbeteiligungen ausgebaut werden“. Heute klingt er immer noch genauso. Von Dokumentarfilmer Stratmann nach der Gefahr der Abhängigkeiten von China gefragt, antwortet Schröder: Ach wo. Abhängigkeit kann man weder in China sagen noch in Deutschland von China“. Das ist eine gefährliche Selbsttäuschung. Deutschlands Abhängigkeiten gegenüber China sind weitreichender und komplexer als die gegenüber Russland vor dem Beginn der russischen Vollinvasion der Ukraine. 

Leider ist Schröder kein Einzelfall. Der chinesische Parteistaat profitiert von vielen aDs, die Ego oder Geschäftsinteresse mit einer Pro-Peking-Position verbinden. Der ehemalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) diente als Gründungschef der pekingfreundlichen China-Brücke“ und behauptet ungeniert: China ist keine Diktatur“. Altbundespräsident Christian Wulff (CDU) hat sich als Vorsitzender der Global Alliance of SMEs, die Schröders Chinabesuch organisierte, verpflichten lassen. Ex-Vizekanzler Philipp Rösler (FDP) wiederum heuerte beim chinesischen Konzern HNA an. Und Ex-FDP-Schatzmeister Harald Christ ist Hauptanteilseigner des Beratungsunternehmens von Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), dessen Geschäftsmodell Süßholzraspeln gegenüber Peking ist. Ein Störgefühl scheinen dabei nur wenige zu haben. Der ehemalige CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos etwa verteidigte Schröder: Schröder hat sich persönlich Kontakte geschaffen. Warum sollte er die heute nicht nutzen?“ Diese Schamlosigkeit muss ein Ende haben. Für die Aktivitäten der Pro-Kreml-Seilschaften haben wir – und auch die Ukraine – einen hohen Preis bezahlt. Es wird höchste Zeit, mehr Licht auf die Netzwerke des Pro-Peking-Lobbyismus zu werfen – Ex-Politiker miteingeschlossen. 


An abridged version of this commentary appeared in ZEIT Online on April 6, 2024. An English translation, first published by by Agenda Pública, is available.