Commentary

Vereint gegen den Westen

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South African President Cyril Ramaphosa welcomes Chinese President Xi on a state visit at the Union Buildings in Pretoria, ahead of the 15th BRICS Summit.  | Photo: GovernmentZA / Flickr (CC BY-ND 2.0 DEED)
22 Aug 2023, 
published in
Spiegel Online

Die Staatschefs Chinas, Brasiliens, Indiens und Südafrikas sind am Dienstag zum 15. Gipfeltreffen der Brics-Gruppe in Johannesburg eingetroffen. Nur Russlands Präsident Putin wird per Video zugeschaltet. Alles deutet darauf hin, dass es ein historischer Gipfel sein wird. Die Erweiterung der Brics um neue Mitglieder steht im Zentrum der Debatten. Denn die Anziehungskraft der Gruppe wächst – und setzt gleichzeitig Fliehkräfte zwischen den bisherigen Mitgliedern frei. Deutschland und Europa sollten einen nüchternen Umgang mit den Brics einüben, statt die Gruppe entweder als Papiertiger abzutun, oder als Schreckgespenst zu überschätzen.

Oft wurden und werden die Brics belächelt. Der Financial Times-Kolumnist Martin Wolf behauptete 2011, zwei Jahre nach dem ersten Brics-Gipfel, dass die Brics »keine Gruppe« seien und »im Grunde nichts gemeinsam haben«. Der Kieler Politikwissenschaftler Joachim Krause tat Brics jüngst als »weitgehend unbedeutend« ab. Sicherlich gibt es viel Trennendes. China und Russland sind neo-totalitäre Systeme. Brasilien, Indien und Südafrika sind (bei allen inneren Kämpfen und Defiziten) Demokratien. Brasilien und Südafrika haben im Gegensatz zu den restlichen Brics-Mitgliedern keine Atomwaffen. China und Indien haben einen akuten Grenzkonflikt mit immer wieder aufflammenden Kampfhandlungen. 

Die Solidarität hat auch ihre Grenzen

Doch all diese Unterschiede haben die Brics nicht gehindert, über die Jahre hinweg ein beträchtliches Geflecht an Austauschbeziehungen und gemeinsamen Institutionen aufzubauen. Dazu gehört die 2013 gegründete »New Development Bank« mit Sitz in Schanghai, die von der ehemaligen brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff geleitet wird. Neben den Gipfeltreffen gibt es Fachministerdialoge. Außerdem treffen sich regelmäßig Abgeordnete sowie Vertreter von Thinktanks, Universitäten und Kultureinrichtungen in unterschiedlichen Brics-Formaten. 

Bei allen Unterschieden eint die Brics-Staaten die Überzeugung, dass die immer noch westlich dominierte internationale Ordnung, gerade im Wirtschafts- und Finanzbereich, unfair ist und dass die G‑7-Staaten, insbesondere die USA, ihre Macht oft im eigenen Interesse ausnutzen. Alle Brics-Mitgliedsstaaten sehen etwa US-Sanktionen etwa gegen Russland kritisch und sind sich einig, dass man dem unkontrollierten Missbrauch der globalen Stellung des Dollars Grenzen setzen sollte.

Nach dem Motto »Einer für alle, alle für einen« steht die Brics-Mitgliedschaft für eine Rückversicherung gegen Druck und Isolierungsversuche des Westens. Die Brics-Mitglieder wandten sich 2014 etwa gegen Versuche, Russland nach der Annexion der Krim aus dem G20-Format auszuschließen.

Doch Putins imperialer Feldzug gegen die Ukraine zeigt, dass diese Solidarität auch Grenzen hat. So hat Gastgeber Südafrika Putin aufgrund des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs gebeten, nicht nach Johannesburg zu reisen. Allerdings führte Südafrika zum 1. Jahrestag von Putins Krieg in diesem Februar ein gemeinsames Militärmanöver mit Russland und China durch. Indien und Brasilien lehnen die Sanktionen gegen Moskau genauso ab wie Peking. Keines der Brics-Länder empfindet es als Stigma, mit Moskau in einer gemeinsamen Gruppe zu sein.

Mehr Mitglieder, mehr Streit

Der weit größere Test für den Zusammenhalt der Brics ist die Erweiterungsfrage. Über 20 Staaten haben ein formelles Beitrittsgesuch gestellt, weitere 20 ihr Interesse bekundet. Südafrika hat 67 Staatschefs sowie Führer von internationalen Organisationen als Gäste nach Johannesburg eingeladen , um im Rahmen des »Brics-Plus-Dialogs« ins Gespräch zu kommen. Dies zeugt von einem Sendungsbewusstsein analog zur G7-Gruppe, bei der der Gastgeber ebenfalls hochrangige externe Gäste hinzulädt. Heute ist die Brics-Gruppe ein Magnet für viele Staaten außerhalb des Westens. Diese beispiellose Erfolgsgeschichte hätten beim ersten Brics-Gipfel 2009 kaum jemand für möglich gehalten.

Gleichzeitig zeigt die Erweiterungsdebatte auch starke Interessengegensätze unter den Brics-Staaten. Größter Befürworter der Erweiterung ist China. Peking sieht nur Vorteile darin, dass sich mehr Staaten (insbesondere regional bedeutende Länder wie Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Mexiko, Indonesien, Ägypten oder die Türkei) dem Brics-Club anschließen. Für China ist dies ein klares Zeichen gegen den Westen. Ein chinesischer Diplomat äußerte gegenüber der Financial Times , dass »unsere kollektive Stimme in der Welt nur stärker würde«, falls »wir die Brics erweitern, sodass es einen ähnlichen Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt hat wie die G7«.

Und für China ist klar, welche Stimme aus dem Kollektiv herausragt. Pekings relative Macht gegenüber den anderen Brics-Mitgliedsstaaten ist im letzten Jahrzehnt stark gewachsen. Seine Position als Primus inter pares wird durch eine Erweiterung nur noch deutlicher. Peking verkauft die Erweiterung auch als Zeichen der eigenen Offenheit. Der chinesische Botschafter in Südafrika schreibt, die Erweiterung zeige, dass die Brics nicht »ein kleiner geschlossener Kreis« sein wolle »im Zeichen wachsender Ausgrenzung und Protektionismus«. Eine wachsende Länder-Gruppe als Alternative zur G7 spielt auch Moskaus antiwestlicher Agenda in die Hände.

Angst vor Statusverlust

Brasilien, Indien und Südafrika sehen die Fragen der Erweiterung differenzierter und mit teilweise deutlichem Unbehagen. Sie fürchten einen relativen Statusverlust durch viele neue Mitglieder und teilweise eine Schwächung ihres privilegierten Zugangs zur chinesischen Führung. So reist Brasiliens Präsident Lula zwar als fröhlicher Befürworter der Brics-Erweiterung durch die Welt und hat sogar die Mitgliedschaft Venezuelas ins Spiel gebracht. Doch innerhalb der Regierung gibt es viele Skeptiker. So äußerte ein brasilianischer Beamter, dass »Erweiterung den Block in etwas anderes verwandeln würde«. Er äußerte Sorgen um die Kohäsion sowie »die Sicherung des eigenen Platzes in einer Gruppe wichtiger Staaten«.

Es ist unklar, ob sich Mitglieder in Johannesburg auf eine Erweiterung um konkrete Staaten einigen werden und wenn ja zu welchen Modalitäten. Einige der bestehenden Mitglieder bevorzugen eine abgestufte Mitgliedschaft, um den eigenen Status zu bewahren.

Auch wenn sich die Brics-Länder auf eine konkrete Erweiterung verständigen sollte, braucht dies niemanden innerhalb der G7 zu schrecken. Gemeinsames Handeln von Seiten der Brics wird nur schwieriger werden. Schon jetzt ist die Idee einer gemeinsamen Währung als Alternative zum US-Dollar illusorisch, weil kein Land die Souveränität über die Zentralbank abzugeben bereit ist. Nachdem Moskau dies ins Spiel gebracht hatte, sagte der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar jüngst in aller Deutlichkeit: »Es gibt keine Idee einer Brics-Währung«.

Der Westen muss die richtigen Lehren ziehen

Deutschland und weitere G7-Staaten sollten die Attraktivität der Brics-Gruppe als Misstrauensvotum gegenüber der vonseiten des Westens oft beschworenen »regelbasierten internationalen Ordnung« zur Kenntnis nehmen und daraus die richtigen Lehren ziehen. Wenn die Brics und viele der Aspiranten »regelbasiert« hören, fragen sie sich »Wessen Regeln?« und fordern Reformen im Sinne einer größeren Mitbestimmung etwa in internationalen Finanzinstitutionen.

Die Brics-Mitgliedschaft an der Seite Chinas und Russlands kann für Deutschland und Europa kein Anlass sein, Brasilien, Indien oder Südafrika belehren oder gar beschimpfen zu dürfen. Berlin sollte die drei Länder eher als Garanten sehen, die verhindern, dass die Brics-Gruppe zu einem antiwestlichen Sturmgeschütz Pekings und Moskaus wird. Dafür sorgt schon allein die zunehmende Rivalität zwischen China und Indien. So haben in der Vergangenheit Brasilien und Indien immer wieder Formulierungen in Brics-Dokumenten aus Sicht des Westens »entschärft«.

Deutschland und Europa sollten ernsthafte Angebote für eine Reform machen, etwa indem der Kontinent darauf verzichtet, automatisch den IWF-Chef zu stellen. Deutschland sollte zudem den aus der Zeit gefallenen Anspruch auf einen ständigen Sitz im Uno-Sicherheitsrat aufgeben und sich stattdessen für eine bessere Repräsentation Afrikas, Lateinamerikas und Asiens im dort einsetzen. Auch geht es um gute und faire Angebote in der Handelspolitik. Deutschland darf sich dabei nicht Illusionen hingeben: Nichts davon wird große nicht-westliche Staaten wie Indien und Brasilien zu einfachen Partnern machen. Aber es kann verhindern helfen, dass sie ihr alleiniges Heil in antiwestlichen Foren suchen.


This commentary was originally published in Der Spiegel on August 222023.