Die verlorene Ehre der China-„Brückenbauer“
Wohlmeinende China-„Brückenbauer“ als Opfer einer Journaille, „die glaubt, fehlendes Wissen und mangelnden Sachverstand durch richtige ‚Haltung‘ kompensieren zu können“: Das ist die Geschichte, die uns Michael Schumann, Vorsitzender der China-Brücke und Vorstandschef des Bundesverbands für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA), in einem herzzerreißenden Beitrag für das Online-Medium China Table auftischt. „Fürsprecher der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit werden diffamiert und ihre Reputation beschädigt“, so schreibt es Schumann, ganz wie in Heinrich Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Nun könnte man erleichtert darüber sein, dass Schumann in seinen Selbstviktimisierungsfantasien anders als Bölls Protagonistin nicht zur Waffe, sondern zur Feder greift und das Ganze auf sich beruhen lassen. Doch einige der im Text enthaltenen Behauptungen erfordern Klarstellungen – zum deutschen China-Journalismus, zur Forschung über Pekings Einflussnahmeversuche sowie zum richtigen Umgang mit den deutschen Pro-Peking-Funktionseliten.
Schumanns Rundumschlag gegen die Arbeit von Journalisten mit China-Fokus entbehrt jeder empirischen Grundlage. Wir können uns glücklich schätzen, einige exzellente und wohlinformierte Berichterstatterinnen zu haben, die zu und/oder in China arbeiten. Dass viele von ihnen Schumanns undifferenzierte Begeisterung für das Land mitnichten teilen, hängt mit den Realitäten des chinesischen Parteistaats unter Präsident Xi zusammen und beruht auf Kenntnis, Sachverstand und eigener Erfahrung. Natürlich gab und gibt es in einzelnen Fällen schwach recherchierte und dünn argumentierte pekingkritische Geschichten – oder sogar solche, die problematische Stereotype bis hin zu Stigmatisierungen mit rassistischen Anklängen enthalten. Und natürlich schreiben heute aufgrund der großen Nachfrage auch Journalisten über China-Themen, die keine relevante Erfahrung haben. Und ja, es finden zu wenige Geschichten über die Diversität der chinesischen Gesellschaft und den Eigensinn, den sich viele Chinesinnen unter den Bedingungen eines zunehmend totalitären Staates bewahrt haben, den Weg auf die Titelseiten. Was uns jedoch größere Sorgen machen sollte ist, dass sich im Journalismus damit ein Geschäft machen lässt, einem Massenpublikum wirklichkeitsfremde pekingfreundliche Thesen zu servieren. Dabei munter mitmischende Schreibunternehmer wie Frank Sieren, der den Populärphilosophen Richard David Precht dafür trainiert, ebendies zu tun, demonstrieren das gerade. Im Podcast mit Markus Lanz – einem der meistgehörten des Landes – lieferte Precht jüngst schon eine erschreckende Kostprobe seines chinapolitischen Absurditätenkabinetts.
In seinem Text rückt Schumann außerdem die angewandte wissenschaftliche Arbeit zu Versuchen der Einflussnahme und Unterwanderung durch den chinesischen Parteistaat in die Nähe des „Deep-State“-Geraunes des Querdenkertums. Das ist eine nicht haltbare Charakterisierung der empirischen Forschung zu Chinas Politik der Einheitsfront und der politischen Liaisonarbeit der Kommunistischen Partei. Die Wissenschaft dokumentiert diese Versuche nüchtern als Instrument des Machtanspruchs des chinesischen Parteistaats. Neben dem von Schumann herausgegriffenen Buch von Clive Hamilton und Mareike Ohlberg gibt es zahlreiche andere Arbeiten, darunter eine umfangreiche Studie von Paul Charon und Jean-Baptise Jeangène Vilmer oder ein empfehlenswertes Stück von Anne-Marie Brady. Sehr lesenswert ist auch „Spies and Lies“, das jüngste Buch von Alex Joske zur Arbeit des chinesischen Ministeriums für Staatssicherheit, das nicht zuletzt den Bereich „elite capture“, also die Gewinnung und Einbindung von westlichen Funktionseliten für Pekings Zwecke, beleuchtet. Man muss nicht mit jeder Beobachtung und Diagnose dieser Werke übereinstimmen. Oft ist auch die Frage der Wirkung solcher Einflussnahmeversuche selbst schwer zu klären. Doch wer sich ernsthaft mit diesen Werken beschäftigt, wird schnell feststellen, dass diese im besten Sinne des Wortes Aufklärungsarbeit leisten. Und nicht nur das: Viele von ihnen machen konkrete Vorschläge, wie sich den Einflussversuchen des chinesischen Parteistaats besser begegnen lässt.
Natürlich wird nicht jeder, der sich mit Einflussagenten trifft oder an Veranstaltungen mit dem Zweck der Einflussnahme teilnimmt, gleich zum Erfüllungsgehilfen des Parteistaats. Kritische Nachfragen muss man sich jedoch gefallen lassen. Das gilt beispielsweise auch für den Leiter der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung in Peking, Alexander Birle, der mit Frank Sieren an einer Propagandaveranstaltung der Zentralen Propagandaabteilung der KP zum Thema Tibet teilnahm und dabei pekingschmeichelnde Statements abgab. Wie in einem von Michael Schumann in seinem eigenen Beitrag monierten Artikel in der Welt thematisiert, richtete auch Schumann selbst in Berlin eine Veranstaltung für den Chef des von einer Untergliederung des United Front Work Departments gestarteten Center for China and Globalization (CCG), Henry Huiyao Wang, aus. Das ist nicht per se unbedingt ein Skandal – es kommt auf die Art und Weise an. Schumann hofierte den CCG-Chef höchst unkritisch. Der Vizepräsident des Center, Victor Gao, verbreitet indes Pläne für eine ethnische Säuberung Taiwans, wenn Peking die Kontrolle über die Insel erlangt hat. Einer solchen Organisation rollt man nicht den roten Teppich aus, ohne sich zum Legitimierungsgehilfen solcher Politiken zu machen.
Schumann wirft in seinem Text zudem eine interessante Frage zur Motivation von ausländischen Pro-Peking-Funktionseliten auf. Er schreibt mit Blick auf die Gründung der China-Brücke, deren Vorsitzender er jetzt ist: „Der Gedanke, dass es einen Kreis von Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik geben könne, die aus eigener Überzeugung heraus – ganz ohne Inzentivierung seitens staatlicher chinesischer Stellen – mehr Gesprächskanäle nach und einen konstruktiveren Umgang mit China befürworten könnten, sprengte schon damals die Vorstellungskraft vieler Medienvertreter“. Diese Vorstellungskraft lohnt es sich zu testen. Es gibt drei Hauptmotive für Funktionseliten, die den Interessen autoritärer Systeme dienen: Ego, Geld und Überzeugung. Oft finden sich zwei oder drei Motive gleichzeitig. Ist es denkbar, dass Überzeugung aus gutem Herzen der bei weitem dominante Beweggrund ist? Sicherlich. Aber plausible Beispiele gibt es dafür wenige. Matthias Platzeck, ehemaliger SPD-Chef und Ministerpräsident Brandenburgs, ist ein solcher Kandidat. Platzeck verschrieb sich dem Brückenbauen zwischen Deutschland und Russland aus tiefer Überzeugung, auch aufgrund einer (einseitig auf Russland, nicht die anderen Staaten von Timothy Snyders „Bloodlands“ projizierten) Kriegsschuld Deutschlands gegenüber der ehemaligen Sowjetunion. Er wurde dabei zu einer Pro-Kreml-Stimme, etwa in seiner Funktion als Vorstand des Deutsch-Russischen Forums.
Fallen womöglich auch Schumann und seine Mitstreiter in der China-Brücke und im BWA in diese Kategorie „überzeugte Brückenbauer rein aus gutem Herzen“? Könnte ja sein, dass auch Schumann aus reiner Überzeugung Begeisterung für Xis Konzept einer „Community of Common Destiny for Mankind“ verbreitet oder Abhängigkeiten zwischen Deutschland und China mit Abhängigkeiten in der Familie oder in einem Fußballteam vergleicht. Aber wahrscheinlich hilft es, dass all dies auch seinen eigenen Interessen als Berater für das deutsche Chinageschäft dient. Auf seiner Unternehmenswebseite wirbt Schumann mit einem Foto, das ihn als BWA-Vertreter auf einem deutsch-chinesischen Forum zeigt. Er ist vor allem Brückenbauer im Dienste des eigenen Geschäfts, ganz wie Rudolf Scharping, der nach seiner Zeit als Politiker eine pekingfreundliche Türöffnerberatung startete. Dass der BWA unter Schumanns Führung kein autoritäres Regime zu kennen scheint, das es sich nicht schönzufärben lohnte, vervollständigt das Bild. Eberhard Sandschneider, neben Schumann eine weitere zentrale Gründungsfigur der China-Brücke, arbeitet als Partner beim Beratungsunternehmen Berlin Global Advisors seit Oktober 2020 am Aufbau einer „China Practice Unit“. Und Wolfgang Hirn, Vorstandsmitglied der China-Brücke, gehörte zum Gründungsteam des gescheiterten Projekts „Chinareporter“, das sich als Pro-Peking-Leitmedium für die deutsche China-Community positionieren wollte. Der chinesische Botschafter Shi Mingde schrieb Anfang 2019 Briefe an deutsche Dax-Unternehmen und Stiftungen, in denen er um finanzielle Unterstützung für Hirns Projekt bat. Ein weiteres Vorstandsmitglied der China-Brücke, Carsten Senz, steht gleich komplett in Diensten des chinesischen Konzerns Huawei.
Und auch der Ex-Minister und Gründungsvorsitzende der China-Brücke, Hans-Peter Friedrich, schätzte sicher die Aufmerksamkeit, die ihm Peking beim Schwanengesang seiner Politikkarriere entgegenbrachte – so sehr, dass er zur Pflege seines Egos das Amt eines Bundestagsvizepräsidenten mit der Gründung der China-Brücke besudelte. Dabei gab er dann treuherzig zu Protokoll, dass China keine Diktatur sei und die China-Brücke das Gleiche wie die Atlantik-Brücke. Dass auf der anderen Seite der China-Brücke ein totalitärer Parteistaat steht und dass dies (bei allen Schwächen der US-Demokratie) einen fundamentalen Unterschied darstellt, kam Friedrich nicht in den Sinn.
Für den chinesischen Parteistaat ist eine solche Blindheit für die Realitäten des Dialogs und Austauschs mit China ein Glücksfall. Der KP-Staat privilegiert auf chinesischer Seite im Austausch mit dem Ausland bewusst eine kleine Zahl von „vertrauenswürdigen“ Spielern wie beispielsweise das CCG als handselektierte „Zivilgesellschaft“. Regimeskeptische Stimmen in China (also Teile der wahren Zivilgesellschaft) werden hingegen komplett ausgeschlossen und nicht selten drangsalieret. Auch will der Parteistaat nach Möglichkeit selbst entscheiden, wer auf der deutschen Seite am Dialog teilnimmt bzw. wer ihn organisiert. Das chinesische NGO-Gesetz kodifiziert diesen Kontrollanspruch. Missliebigen Dialogpartnern werden Visa vorenthalten oder diese gleich mit Sanktionen belegt. So sanktionierte Peking im Frühjahr 2021 unter anderem das Mercator Institute for China Studies (Merics). Organisationen wie die China-Brücke und der BWA sind auch deshalb ein Geschenk für den Parteistaat, weil sie bereitwillig nach Pekings Regeln spielen.
Dass pekingfreundliche „Brückenbauer“ von Journalistinnen kritisch beleuchtet werden, sollte in einer offenen Gesellschaft als Selbstverständlichkeit gelten. Stärkere Transparenzverpflichtungen könnten und sollten diese Arbeit leichter machen. Wir brauchen mehr investigativen Journalismus zur magischen Verbindung aus Überzeugung, Ego und Geschäft, welche die deutschen Pro-Peking-Funktionseliten antreibt. Es könnte dabei so einiges zu Tage gefördert werden.
Matthias Platzeck hat sich übrigens am 25. Februar 2022 nach Putins Angriff auf die Ukraine mit den folgenden Worten von seinen Positionen losgesagt: „Nennen Sie es blauäugig, nennen Sie es naiv. Es gibt ja jetzt viele Umschreibungen. So, wie es jetzt auch viele gibt, die es besser wussten. Damit muss ich leben“. Es wäre gut, wenn die Schumanns dieser Welt denselben Schritt schon jetzt gehen würden. Sie können sich jedenfalls nicht darauf berufen, keiner hätte es ihnen gesagt.