Interview

„Es ist schwer, die Beziehungen zwischen den USA und China zu stabilisieren“

Benner 2023 Ballon
Source: WikiCommons
05 Feb 2023, 
published in
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Herr Benner, mitten in den angespannten Beziehungen zwischen Washington und Peking schwebt ein chinesischer Ballon relativ lange über US-Gebiet. Die Amerikaner sprechen von Spionage, Peking behauptet, es handele sich um ein verirrtes Fluggerät für wissenschaftliche Zwecke. Wie bewerten Sie den Vorfall? 

Man könnte schmunzeln angesichts der Tatsache, dass diese Ballon-Saga jetzt eine der ersten wichtigen Episoden im neuen Kalten Krieg zwischen China und den USA zu werden scheint – ziemlich genau 40 Jahre nach Nenas Lied von den 99 Luftballons“.

Was bringt Sie denn da zum Schmunzeln, ist die Lage nicht ernst? 

Der Hype, der um diesen Ballon gemacht wird, wirkt leicht absurd – im amerikanischen Fernsehen wurde er ja nahezu live getrackt. Aber so übertrieben die Reaktionen in Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit scheinen: Der Vorfall verdeutlicht, wie schwer es ist, die Beziehungen zwischen den USA und China zu stabilisieren. Und er zeigt auch, dass wir wahrscheinlich auf ein sehr turbulentes Jahrzehnt in den Beziehungen zwischen den USA und China zusteuern. Der chinesische und der amerikanische Präsident hatten in Bali am Rande des G‑20-Gipfels eigentlich vereinbart, eine grundlegende Stabilisierung ihrer Beziehungen anzustreben, nachdem diese lange im freien Fall waren. Dazu sollte auch der Besuch von Antony Blinken dienen, Xi Jinping sollte ihn persönlich empfangen. Jetzt kam dieser Ballon dazwischen.

Thorsten Benner ist Direktor des Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin. Bild: GPPi /​Matthias Erfurt

War die Verschiebung der Blinken-Reise wirklich nötig? Offenbar ist es in der Vergangenheit ja schon mehrmals zu ähnlichen Vorfällen mit solchen Ballons gekommen.

Das Pentagon sagt selbst, dass dieser Ballon militärisch nicht gefährlich ist, und dass man auch Vorsorge getroffen hat, dass er nicht zu viele sensible Informationen abgreifen kann. Aber gleichzeitig ist der innenpolitische Druck auf Joe Biden so hoch, dass er jetzt nicht seinen Außenminister nach Peking schicken kann, während einige Republikaner danach schreien, diesen Ballon abzuschießen.

Wäre es nicht gerade jetzt wichtig, Gespräche mit Peking zu führen?

Dieser Besuch sollte sehr bald nachgeholt werden, und das hat das State Department ja am Freitag auch angekündigt. Am besten noch vor der Reise des neuen Sprechers des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, nach Taiwan, die wahrscheinlich im Frühjahr ansteht. Diese wird wiederum Xi innenpolitisch unter Druck setzen, eine noch härtere Reaktion zu zeigen als bei der Reise von Nancy Pelosi im letzten Jahr. Aber in der jetzigen Situation ist es für Joe Biden innenpolitisch einfach nicht möglich, Blinken nach Peking zu schicken – so sinnvoll es wäre, dass der amerikanische Außenminister dort persönlich Gespräche führt. Das würde von der republikanischen Seite einfach zu sehr ausgeschlachtet werden.

Mit welchem Spin?

Die Erzählung der Republikaner wäre wohl: Biden ist schwach und reagiert nicht entschlossen genug auf diese dramatische Verletzung der amerikanischen Souveränität. Statt die nötige politische und militärische Härte zu zeigen, versucht er es nur mit Gesprächen und Diplomatie.

Besteht bei Republikanern und Demokraten nicht relativ viel Einigkeit, was den Umgang mit China angeht?

Doch, der Konsens zwischen Mainstream-Demokraten und ‑Republikanern ist, dass man gegenüber China Härte zeigen und sehr eindeutig handeln muss. Biden hat während seiner Zeit im Weißen Haus gezeigt, dass er extrem entschlossen vorgeht gegenüber einem Peking, das in den letzten Jahren viel aggressives Verhalten gezeigt hat. Man sieht das an den Ausfuhrbeschränkungen, die jetzt im Halbleiterbereich erlassen worden sind. Das ist härter als alles, was der frühere Präsident Donald Trump je gegenüber China gemacht hat. Und gleichzeitig ist es Biden auch gelungen, mehr US-Verbündete ins Boot zu holen – die Zeitenwende in Japan, der Erfolg auf den Philippinen diese Woche, wo der US-Verteidigungsminister Vereinbarungen für neue Militärbasen getroffen hat, die Zusagen von Japan und den Niederlanden, sensible Halbleitertechnologien nicht nach China zu exportieren. Die Republikaner unterstützten das eigentlich alles.

Aber?

Gleichzeitig kündigt sich der Wahlkampf an und die Republikaner versuchen traditionell, demokratische Präsidenten als außenpolitisch schwach darzustellen, als verhielten sie sich nicht den amerikanischen Interessen entsprechend. Das werden sie auch bei Bidens Chinapolitik versuchen, genau wie mit Blick auf Moskaus Krieg gegen die Ukraine und die amerikanische Russlandpolitik. Und dann gibt es auf republikanischer Seite auch noch einige, die eine komplett extreme Position gegenüber China vertreten.

Wie sieht die aus? 

Die lässt sich in etwa so zusammenfassen: Wenn ein Krieg sowieso unvermeidlich ist, dann lasst ihn uns lieber früher als später führen, und jetzt mit aller Härte vorgehen. Für diese Vertreter der Republikaner kommt so ein Ballon gerade recht. Jeder Bürger kann ihn im Fernsehen verfolgen, die Bedrohung durch China wird leicht verständlich – eine sehr gute Gelegenheit, noch mal mehr Härte von der Biden-Regierung zu fordern.

War es ein Zeichen der Stärke der Biden-Regierung, den Ballon abzuschießen?

Den Verlautbarungen des Pentagons war zu entnehmen, dass dieser Ballon keine unmittelbare Gefahr darstellte. Doch der öffentliche Druck auf Biden war offenbar so hoch, dass er sich für einen Abschuss über dem Wasser entschied, um möglichst wenig Bürger zu gefährden und gleichzeitig Stärke zu demonstrieren. Natürlich hat der Abschuss positive Nebeneffekte. Die USA können jetzt einen Blick auf die verwandte Technik werfen und Beweise der Öffentlichkeit präsentieren, dass es sich entgegen chinesischer Beteuerungen nicht einfach nur um einen meteorologischen Ballon handelt. Dass Biden immer schrilleren Forderungen nach Abschuss eines wenig gefährlichen Ballons folgte, gibt uns einen Vorgeschmack darauf, unter welchem öffentlichen Druck US-Präsidenten zukünftig in ernsteren Konfrontationen mit Peking stehen werden. Die extremen Seiten des innenpolitischen Überbietungswettbewerbs der Härte gegenüber China sollte uns Sorgen machen. Ansonsten hat die Biden-Regierung verantwortlich gehandelt und die Kommunikationskanäle mit Peking genutzt. Das ist genau das, was man in diesem neuen Kalten Krieg braucht. 

Weil die Gefahr, dass er zu einem heißen Krieg wird, hoch ist?

Ja, gerade mit Blick auf Taiwan. Die USA und ihre Verbündeten müssen einerseits alles dafür tun, um die Kommunikationskanäle mit Peking offen zu halten und jede nicht-beabsichtigte Eskalation zu verhindern. Dazu gehört auch, dass man dort, wo Kooperationsmöglichkeiten bestehen, diese auch nutzt. Und andererseits müssen sie sehr klar in die Abschreckung Pekings investieren, durch militärische wie auch wirtschaftliche und technologische Sanktionsmaßnahmen. Damit China weiß, dass Gewalt gegenüber Taiwan nicht nur eine massive, militärische Reaktion seitens der USA und ihrer Verbündeter nach sich ziehen würde, sondern auch technologische und wirtschaftliche Sanktionen.

Hat der Ballon-Vorfall auch Folgen für die Sicherheit Europas?

Nur insofern, als dass wir in Europa China lange – wenn überhaupt – nur als wirtschafts- und wettbewerbspolitische Herausforderung gesehen haben und nicht als sicherheitspolitische. Es muss aber allen klar sein, dass China auch eine sicherheitspolitische Herausforderung für Europa ist, und dass sich die Europäische Union und die NATO mit ihr beschäftigten müssen. Auch die engere Kooperation zwischen Moskau und Peking sollte ein Grund für große Beunruhigung in Europa sein.

Heute vor einem Jahr haben sich Xi und Putin in Peking getroffen und eine strategische Partnerschaft mit beispiellosem Charakter“ beschworen. 

Diese Partnerschaft hat sich im vergangenen Jahr für beide Seiten ausgezahlt, trotz gewisser Irritationen über den Verlauf des Kriegs in der Ukraine. Es gab mehr Handelsbeziehungen, mehr Militärübungen, mehr Transaktionen in Renminbi statt in Dollar. Peking und Moskau sind stärker zusammengewachsen, das sieht man ja auch daran, dass der russische Präsident bekannt gegeben hat, dass Xi ihn in diesem Frühjahr in Moskau besuchen wird – mit dem ukrainischen Präsidenten hat Xi noch nicht gesprochen. Das ist ein klares Signal, dass Peking an der Seite Moskaus steht.

Wo sehen Sie denn derzeit noch Kooperationsmöglichkeiten mit China?

Das Feld ist momentan nicht groß, bei der Rüstungskontrolle vielleicht – obwohl Peking da zurückhaltend ist –, oder bei der Bekämpfung der Klimakrise. Allerdings ist selbst im Klimabereich klar, dass Europa, die USA und China auch da Wettbewerber sind und er keine perfekte, von geopolitischen und geoökonomischen Spannungen freie Kooperationswiese ist.


This interview was originally published by Frankfurter Allgemeine Zeitung on February 052023.