Commentary

Wirtschaftsbeziehungen: Moralische Abrüstung in der Außenpolitik

Brenner 2023 Wirtschaftsbeziehunen China
Cars by the German manufacturer VW waiting to be shipped from the port of Setúbal, Portugal.  | Photo: Diego Delso / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)
04 Feb 2023, 
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WirtschaftsWoche

Wie viel Moral braucht die deutsche Außenwirtschaftspolitik? Die wenig durchdachte Antwort auf diese Frage lautet oft: Sehr viel!“ So war es beim lange dominanten Wandel durch Handel“-Paradigma vieler Unternehmerinnen und Manager. Und so ist es auch bei einer rein wertegetriebenen Außenwirtschaftspolitik, die manche Politikerinnen und Aktivisten jetzt einfordern.

Die Attraktivität der Formel vom Wandel durch Handel“ beruhte auf moralischer Überschussproduktion: Wirtschaftsvertreter konnten sich beim Geldverdienen als Agenten des Guten wähnen – sich einreden, Ländern wie China und Russland zu helfen, offene Gesellschaften zu werden. So ließ sich der Geschäftsbetrieb mit unappetitlichen Regimen doppelt rechtfertigen: als etwas pragmatisch Gebotenes in einer Welt, in der mustergültige Demokratien in der Minderheit sind – und als moralisch Gerechtfertigtes: Kein Regime und kein Landstrich sind der Magie von Wandel durch Handel“ entzogen.

Auch nicht die westchinesische Region Xinjiang. Dort macht sich der chinesische Parteistaat, wie ein offizieller Bericht der Vereinten Nationen 2022 bestätigt hat, im Namen der Terrorbekämpfung systematisch Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Minderheit der Uiguren schuldig. Und Apologeten des Wandels durch Handels“ haben kein Problem damit, deutsche Fabriken in Xinjiang wie das Volkswagen-Werk in Urumchi seligzusprechen. Für den kürzlich verstorbenen ZEIT“-Herausgeber Theo Sommer zum Beispiel stand fest, dass deutsche Unternehmen in dem schwierigen Umfeld Xinjiangs einen Beitrag zum ersprießlichen Zusammenleben verschiedener Völkerschaften leisten“. Er war sich sicher, dass eines Tages wie einst die südafrikanischen Schwarzen von BMW“ auch die Uiguren sagen können, wer zu den Mitarbeitern der deutschen Firmen gehört, der hat das große Los gezogen“.

Ganz sicher das große Los gezogen haben die Vertreter von Volkswagen mit dieser Argumentation. Zu seinem Amtsantritt als VW-Chef verteidigte Oliver Blume Anfang September 2022 das VW-Werk in Xinjiang: Es geht darum, unsere Werte in die Welt zu tragen. Auch nach China, auch in die Uiguren-Region.“ Sein Vorgänger Herbert Diess prophezeite noch im Sommer, Chinas frisch gekrönter Alleinherrscher auf Lebenszeit, Xi Jinping, werde sein Land weiter öffnen und sein Wertesystem weiter positiv entwickeln“. Diess adelte die Präsenz von Volkswagen, das sich vom chinesischen Markt in den vergangenen Jahrzehnten immer abhängiger gemacht hat, mit schönster Wandel durch Handel“-Prosa: Wir können einen Beitrag zum Wandel leisten, indem wir vor Ort vertreten sind.“

BASF-Chef Martin Brudermüller wiederum, der gerade zehn Milliarden Euro in einen neuen Standort in China investiert, konzediert zwar mittlerweile, Wandel durch Handel“ sei als Idee sicher überbetont“ gewesen. Aber nur, um sich dann doch in die Tradition der Selbststilisierung der Russlandgeschäftemacher des Ostausschusses zu stellen, sich als Diplomat der Wirtschaft“ zu preisen: Wer nicht mehr miteinander Handel treibt und nicht mehr miteinander spricht, kann gar keinen Einfluss mehr nehmen.“

Die BASF- und VW-Lenker verkennen das umfassende Scheitern dieses Ansatzes in Russland und China. Dort ging der Wandel zuletzt genau in die andere Richtung: hin zu mehr autoritärer Kontrolle. Die Handelsverflechtung hat dem Kreml bei der Aufrüstung geholfen und ihn nicht davon abgehalten, die Ukraine zu überfallen. Derweil machte sich Deutschland mit Unterstützung der Wandel durch Handel“-Illusionstheatertruppe immer abhängiger und damit erpressbar von autoritären Großmächten, ob im Fall von Energie (Russland) oder von Rohstoffen, industriellen Vorprodukten und Absatzmärkten (China). Und deutsche Groß-CEOs, die Diplomaten der Wirtschaft“, traten und treten dabei allzu oft eher als Sachwalter russischer und chinesischer Interessen auf.

Nachhaltiger Wohlstand und Versorgungssicherheit 

Die richtige Lehre aus diesem katastrophalen Fehlschlag liegt jedoch nicht in einer übermoralisierenden 180-Grad-Wende. Es wäre falsch, wenn Deutschland sich in seinen Wirtschaftsbeziehungen fortan rein auf befreundete Demokratien konzentrierte. Das Versprechen des Friendshoring“, von Lieferketten unter Freunden, klingt attraktiv. Und das Bedürfnis nach einer moralisch blitzsauberen Außenwirtschaftspolitik ist in Teilen der Öffentlichkeit groß, das haben etwa Reaktionen auf die Katarreise von Wirtschaftsminister Robert Habeck zur Anbahnung einer Energiepartnerschaft und die laute Kritik an dem Land während der Fußball-WM gezeigt.

Nur leider ist moralische Eindeutigkeit mit dem Erfordernis der Beschaffung unverzichtbarer Rohstoffe (und Absatzmärkte) nicht in Einklang zu bringen. Deutschland kann sich bei Energie, Rohstoffen und Lieferketten nicht nur auf befreundete Demokratien verlassen. Sicher, Demokratien sollte, wo immer möglich, Vorrang gegeben werden. Aber gerade bei der Rohstoffbeschaffung für zentrale Energiewendetechnologien reicht es nicht aus, sich künftig auf Staaten zu verlassen, die wie Norwegen auf der Moralskala annähernd eine Maximalpunktzahl erreichen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat recht, wenn er sagt: Wir können es uns nicht leisten, etepetete zu sein.“

Der Satz ist nicht als Freibrief zu verstehen für rücksichtslose Ausbeutung; dagegen gibt es klug auszugestaltende Lieferkettengesetze und ESG-Kriterien. Sondern Grundlage für eine Außenwirtschaftspolitik, die sich weder einen windigen moralischen Deckmantel überzieht noch die Morallatte (oft selektiv) in schwindelerregende Höhen legt.

Wie also wäre es mit einem neuen, praktikablen Motto? Ich schlage vor: Nachhaltiger Wohlstand und Versorgungssicherheit durch Handel“. Ein zentrales Prinzip muss dabei die Streuung von Abhängigkeiten sein, insbesondere gegenüber autoritären Großmächten. Bei Russland haben wir dies auf die harte Tour erreicht, zu hohen Kosten. Wir hätten diesen scharfen Schnitt durch verbindliche Regeln zur Diversifizierung wie in Zeiten des Kalten Krieges verhindern können. Und wir müssen entschlossen die viel komplexeren Abhängigkeiten gegenüber China reduzieren, also Pekings Erpressungswerkzeuge stumpfer machen und die Kosten für den Fall reduzieren, dass es irgendwann zu einem großen Konflikt kommt.

Außenministerin Annalena Baerbock trifft ins Schwarze, wenn sie der Wirtschaftselite ins Stammbuch schreibt: Wir können uns, und ich glaube, auch Sie können sich nicht das Prinzip noch mal leisten, nur nach dem Business first‘-Credo zu handeln, ohne dabei die langfristigen Risiken und Abhängigkeiten einzurechnen.“ Dafür muss der Staat klare Regelungen (etwa durch Stresstests von Marktabhängigkeiten) aufstellen und verbindliche Anreize zur Diversifizierung setzen. Gleichzeitig müssen Regierungen und Unternehmen in Fragen der Innovationskooperation und des Transfers kritischer Technologien, die insbesondere im Rüstungsbereich zu Anwendung kommen können, gerade gegenüber China vorsichtiger werden. 

Kleinere, deshalb zugleich gestreute Abhängigkeiten gegenüber autoritären Staaten können wir dagegen eingehen. Aus dieser Sicht ist die Energiepartnerschaft mit Katar unproblematisch. Nur mit Demokratien Handel zu treiben käme für Deutschland einem Wohlstandsverlust gleich, für den es wahrscheinlich auch unter vielen Anhängern einer stark moralisierten Außenwirtschaftspolitik keine Mehrheit gäbe. 

Noch einmal: Das ist kein Freifahrtschein für menschenrechtlich fragwürdige Aktivitäten oder Anbiederung an fragwürdige Regime. Zwar können wir demokratischen Wandel nicht durch Handel garantieren. Aber wir können zumindest der Unterminierung der eigenen Demokratie durch willfährige Steigbügelhalter in unseren Funktionseliten entgegenwirken, die sich nach dem Modell Gerhard Schröder von autoritären Regimen und ihren Unternehmen kaufen lassen, um deren Bild und Einfluss bei uns zu verbessern. Verbindliche Transparenzverpflichtungen für jede Form des Lobbyismus für autoritäre Staaten können bei der Skandalisierung helfen.

Gleichwohl braucht es zugleich moralische Abrüstung in der Außenwirtschaftspolitik, die ständig damit konfrontiert ist, Widersprüche auszuhalten und schwierige Abwägeentscheidungen zu treffen: Es kommt darauf an, aus eher guten als schlechten Gründen wirtschaftlich und moralisch eher besser als schlechter dazustehen. Oder, wie Robert Habeck es einmal in einem denkwürdigen kleinen Wutanfall im Fernsehen sagte: Was immer wir tun, hat Konsequenzen. Wir sind keine Engel. Aber wir können versuchen, die Konsequenzen (unseres Tuns) ein bisschen weniger schlimm zu machen.“


This commentary was originally published on WirtschaftsWoche on February 042023