Commentary

Lulas Amtsantritt: Brasilien ist wieder ein wichtiger Partner

Benner 2022 Lula Steinmeier
Source: Mídia NINJA / Flickr
28 Dec 2022, 
published in
Tagesspiegel

Brasilien ist zurück“, erklärte Luiz Inácio Lula da Silva in seiner Rede bei der Weltklimakonferenz in Ägypten im November, wenige Wochen nach dem spektakulären Comeback des zweimaligen Präsidenten gegen den rechtsextremen Amtsinhaber Jair Bolsonaro. In der Tat: Nach den dunklen Bolsonaro-Jahren richten sich viele Hoffnungen der EU und der US-Regierung auf Lula, nicht nur mit Blick auf die Klimapolitik. 

Es ist ein richtiges Signal, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 1. Januar zu Lulas Amtseinführung nach Brasília reist. Steinmeier würdigt damit den vor einigen Monaten alles andere als ausgemachten friedlichen Machtwechsel in Lateinamerikas größtem Land und möchte eine neue Phase der strategischen Partnerschaft“ einläuten. Damit dies gelingt, muss man einen realistischen Blick auf die schwierige Lage des neuen Präsidenten werfen.

Lulas Wahlkampfslogan O Brasil feliz de novo“ versprach, Brasilien wieder glücklich“ zu machen. Der 77-Jährige spielte auf seine beiden ersten Amtszeiten von 2003 bis 2011 an, in denen ein Ressourcenboom und innovative Sozialprogramme Millionen den Weg in die Mittelschicht ermöglichte und Brasilien als aufstrebende Macht eine prominente Rolle auf der Weltbühne spielte.

Ideologische Spannungen in der Regierungskoalition 

Heute übernimmt Lula das Steuer eines wirtschaftlich geschwächten und polarisierten Landes. Er stützte sich im Wahlkampf auf eine breite Koalition von ganz links bis in die Mitte-rechts, was im Regierungshandeln zu Spannungen zwischen verschiedenen ideologischen Polen führen wird, auch in außenpolitischen Fragen. 

Von den 513 Sitzen im Abgeordnetenhaus wird Lulas Arbeiterpartei nur 79 kontrollieren, 20 weniger als die Partei von Bolsonaro. Daher muss er viele Parteien mit ins Boot holen, um regieren zu können. Zudem haben sich Unterstützer Bolsonaros in den Gouverneurswahlen der drei wichtigsten Staaten – São Paulo, Minas Gerais und Rio de Janeiro – durchgesetzt, und Bolsonaro-freundliche Kandidaten haben glänzend im Amazonas abgeschnitten. 

Bei der schwierigen Wirtschaftslage ist Lulas fiskalischer Spielraum, die Brasilianer zu beglücken, gering. Nach der Zerstörungswut Bolsonaros stehen im Bildungs- und Umweltschutzsektor riesige Aufräumarbeiten an. Gleichzeitig werden die ideologischen Weggefährten Bolsonaros, der bei der Stichwahl 49,1 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, alles tun, um Lula zu torpedieren.

Zerrüttete Beziehungen zu den Nachbarn 

Lula hat somit eine weit schwächere Basis für seine außenpolitische Agenda als in seinen ersten beiden Amtszeiten. Ein Teil seiner Energie wird er zunächst darauf verwenden müssen, das diplomatische Porzellan mit den lateinamerikanischen Nachbarstaaten zu kitten, das Bolsonaro zerschlagen hat.

Lula ist an der Stärkung der Beziehungen zu Deutschland
und Europa interessiert, wird aber den Europäern nicht nach dem Mund zu reden. Das demonstrierte er schon in einem Interview im Mai, in dem er über den ukrainischen Präsidenten Selenskyj sagte: Dieser Kerl ist so verantwortlich für den Krieg wie Putin.“ In einer für Staaten außerhalb des Westens typischen Haltung wird sich Lula den Sanktionen gegen Russland genauso wenig anschließen, wie er für eine diplomatische Isolation des Kremls zu haben ist.

Das sollte jedoch kein Hindernis sein, um in stärkere deutsch-brasilianische Beziehungen zu investieren, zumal Lula innerhalb der Vereinten Nationen ansonsten ein konstruktiver Partner Deutschlands sein kann. Dabei kommt der Bundesregierung der exzellente Draht der Sozialdemokratie zu Lula zugute.

Führende SPD-Vertreter besuchten Lula in seiner Haftzeit im Gefängnis. SPD-Chef Lars Klingbeil traf Lula im Sommer. Bundeskanzler Olaf Scholz sollte für 2023 eine Wiederbelebung der deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen anstreben, bei denen sich alle zwei Jahre die kompletten Bundeskabinette treffen. Bislang fand dieses Format nur einmal 2015 statt. 

Daneben kann Brasilien eine wichtige Rolle bei der Diversifizierung der Rohstoffbeschaffung Deutschlands spielen, von seltenen Erden bis hin zu Lithium. Dabei sollte Deutschland im Sinne einer echten Rohstoffpartnerschaft Brasilien anbieten, gemeinsam in die Weiteverarbeitung der Rohstoffe und industrielle Nutzung (etwa in Batteriefabriken) in Brasilien zu investieren. Lula und Scholz können auch neue Impulse für die Verabschiedung des EU-Mercosur-Handelsabkommens setzen. 

Zudem kann Deutschland von Brasilien lernen, wie man mit antidemokratischen Bewegungen und den Gefahren einer polarisierten, von Desinformation geprägten Informationslandschaft umgeht, in der Nachrichtenvermittlung primär über soziale Medien funktioniert und etablierte Medien an stark an Bedeutung verloren haben. Denn was in Brasilien heute Realität ist, könnte Deutschland morgen bevorstehen.


This commentary was originally published in Tagesspiegel on December 282022.