Commentary

China-Reise: Der enthusiastische Handelsreisende Olaf Scholz

Benner 2022 Scholz China Reise
Olaf Scholz at a 2022 campaign event in Cologne.  | Photo: Raimond Spekking / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)
03 Nov 2022, 
published in
ZEIT ONLINE

In seiner ersten Regierungserklärung kurz nach der Wahl zum Bundeskanzler argumentierte Olaf Scholz im vergangenen Dezember, wir müssten unsere China-Politik an dem China ausrichten, das wir real vorfinden”. Der Kanzler plädierte dafür, deutsche und europäische Interessen gegenüber Peking mit großem Selbstbewusstsein” zu vertreten. Das ist eine starke Grundlage für eine neue China-Politik, die Angela Merkels blindes Streben nach immer tieferer Verflechtung mit diesem zunehmend totalitären System überwindet.

Doch kurz vor seinem Antrittsbesuch diesen Freitag beim frisch gekrönten Alleinherrscher Xi Jinping handelt Olaf Scholz genau gegen diese Prinzipien. Er boxte die Beteiligung des chinesischen Staatsunternehmens Cosco an einem Terminal im Hamburger Hafen gegen den Widerstand seiner eigenen Minister durch. Die kosmetische Verringerung des Anteils von 35 Prozent auf 24,9 Prozent kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kanzler Pekings Erpressung nachgab und damit ein Zeichen der Schwäche sendete. China hatte nicht nur dem Hamburger Hafen, sondern Deutschland als Ganzes mit wirtschaftlichen Konsequenzen gedroht, sollte die Regierung kein grünes Licht geben.

Das Zögern des Kanzlers, klare Kante gegenüber Peking zu zeigen, ist nicht überraschend, wenn man seine chinapolitische Vorprägungen anschaut. Als Hamburger Bürgermeister und als Bundesfinanzminister verfolgte Scholz einen sehr pekingfreundlichen reinen Außenwirtschaftskurs. Als Kanzler setzt er inzwischen auf eine Politik der stärkeren politischen und wirtschaftlichen Diversifizierung – diese geht er allerdings in Trippelschritten. Scholz muss sein Umdenken beschleunigen, will er den Besuch in Peking und seine China-Politik als Ganzes zum Erfolg führen.

Im November 2011, schon kurz nach seiner Wahl zum Hamburger Bürgermeister, machte sich Scholz auf den Weg nach Peking und Shanghai. Der kommunistische Parteistaat ließ Scholz dabei weit mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden, als dem Bürgermeister eines kleinen, wenn auch stolzen Stadtstaates normalerweise zustünde. Scholz traf einen Vizepremier, die Vizeaußenministerin sowie den Leiter der internationalen Abteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. Für die Regierung in Peking galt Scholz als aufstrebender Politiker, in den es sich zu investieren lohnte. Die damalige Vizeaußenministerin Fu Ying begrüßte Scholz als stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD, einer Partei, mit der die KP seit mehreren Jahrzehnten enge Verbindungen pflegte: Sie freue sich sehr, sagte Fu damals, dass Sie als SPD-Politiker neuerer Generation eine wichtige Rolle in der Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen spielen können”. Beim erneuten China-Besuch im November 2015 resümierte ein mitreisender Journalist: Auch wenn Scholz hier in China als Hamburger Bürgermeister auftritt, so spielt bei seinen Gastgebern (…) die Möglichkeit, dass er möglicherweise eines Tages Bundeskanzler werden könnte, eine nicht unerhebliche Rolle.”

Der Hamburger positionierte sich im Gegenzug verlässlich als Stimme einer Stärkung und Ausweitung der Beziehungen mit China. Dabei kam Scholz ohne besondere Schönfärberei aus, die etwa den heutigen China-Lobbyisten Rudolf Scharping auszeichnet. Das Höchste der Gefühle für Scholz war, sich beeindruckt zu zeigen vom Optimismus, der hier herrscht, und der wahrscheinlich noch ungebrochene Glaube an den Fortschritt”. Er fügte mit leichtem Pathos hinzu: Das berührt mich auch.” Ansonsten war er auch schon 2011 ganz Scholz, wie das Hamburger Abendblatt berichtete: Er begrüßte den chinesischen Vize-Premierminister, der ihn mit vielen warmen Worten in einer prächtigen Pagode empfing, ohne lange Vorrede mit schönen Dank für die Gesprächsbereitschaft’ ”. Der Dolmetscher habe das sehr frei übersetzt, berichteten chinesische Teilnehmer der Begegnung deutschen Journalisten. Doch aus Pekings Sicht fand Scholz genau die richtigen Worte zur China-Politik. Beim Besuch 2011 sagte er, aus deutscher Sicht sollte es weiter so gehen, dass wir den Ausbau der Handelsbeziehungen, auch der wechselseitigen Investitionstätigkeit voranbringen”. Er beklagte zugleich, dass in China in der letzten Zeit der eine oder andere den Eindruck hatte, als ob die chinesischen Handelsbeziehungen nicht so willkommen wären, wie sie es tatsächlich sind”. 

China soll Hamburg als zentralen Zugang nach Europa wahrnehmen.”

Scholz präsentierte sich also als enthusiastischer Handelsreisender für tiefere Wirtschaftsbeziehungen mit China. Es geht auf solchen Reisen darum, ein Milieu zu schaffen, zum Beispiel für Investitionen”, sagte Scholz 2011. China soll Hamburg als zentralen Zugang nach Europa wahrnehmen.” Mit Nachdruck setzte er sich beim chinesischen Staatsunternehmen Cosco für die Stärkung von dessen Präsenz in Hamburg ein. Als Hamburger Bürgermeister ließ Scholz Pläne für Cosco-Investitionen in den Hamburger Hafen entwickeln, die weit ambitionierter waren als die 25-prozentige Beteiligung an einem Terminal, die er als Kanzler jetzt gegen Widerstand durchdrückte. 2015 unterstützte Scholz, dass die Hamburger Wirtschaftskammer als einzige deutsche Institution Gründungsmitglied der Belt and Road Industrial and Commercial Alliance (BRICA) und damit Teil des Pekinger Prestigeprojekts Neue Seidenstraße wurde. In einem Interview mit dem chinesischen Staatsfernsehen 2017 pries er Hamburg als größten chinesischen Hafen in Deutschland und Europa” an. 

Als Vizekanzler und Bundesfinanzminister von 2018 bis 2021 führte Scholz die Hamburger außenwirtschaftliche China-Politik fort. Beim Besuch in Peking 2019 setzte sich Scholz für besseren Marktzugang für deutsche Finanzdienstleister ein. Als Finanzminister hatte er es bei politischen Gesprächen mit sehr pragmatischen, technokratischen Vertretern des Parteistaats zu tun, ganz so, wie Scholz es mag. Gegenüber den Handelskriegern aus der Trump-Regierung à la Peter Navarro muss das Scholz wie eine angenehme Abwechslung vorgekommen sein. 

Doch heute taugen diese Erfahrungen nicht zum richtigen Umgang mit einem China, das wir real vorfinden”. Als Hamburger Bürgermeister mag man glauben, seine China-Politik auf die eines Handelsreisenden zu beschränken. Als Bundeskanzler kann man sich dies nicht erlauben, ohne deutsche und europäische Interessen zu beschädigen. Und die pragmatischen, wenig ideologischen Vertreter aus dem chinesischen Apparat, die Scholz zu schätzen gelernt hat, haben wenig mit dem China des frisch gekrönten Alleinherrschers Xi gemein. Xi hat den Vorbereitungen für den Kampf” (mit feindlichen Elementen aus den USA und deren Verbündeten) ins Zentrum seiner Parteitagsrede gestellt. Und die pragmatischen Vertreter des Apparats sind entweder kaltgestellt oder auf Linie gebracht für das China Xis: Das setzt nun mal auf marxistisch-leninistische Prinzipien politischer Kontrolle von Gesellschaft und Wirtschaft sowie auf aggressiven Nationalismus. 

Sein Blick auf China hat sich geändert

Dass beim Kanzler durchaus schon ein chinapolitisches Umdenken eingesetzt hat im Vergleich zu seiner Zeit als Bürgermeister und Finanzminister, bekräftigte Scholz in einem Namensartikel in der heutigen FAZ: Wenn sich China verändert, muss sich auch unser Umgang mit China verändern.” Er ließ dem auch schon durchaus Taten folgen. 

Im Mai dieses Jahres ermahnte Scholz deutsche Unternehmen mit Blick auf das China-Geschäft, nicht alle Eier in einen Korb zu legen”. Sein Blick auf China ist der eines selbstbewussten Demokraten. Der Kanzler glaubt an die Kraft demokratischer Systeme, die er als krisenfester als Autokratien sieht. China sieht Scholz als möglichen Auslöser der nächsten globalen Finanzkrise an und als ein Land, das Gefahr läuft, in der Middle Income Trap gefangen zu bleiben, es also nicht schafft, in puncto Wertschöpfung und Pro-Kopf-Einkommen zu den am höchsten entwickelten Ländern aufzuschließen. 

Bei seiner Rede vor der UN-Generalversammlung in New York im September hat der Kanzler auch sehr klar Pekings Repression gegenüber den Uiguren angesprochen. Gleichzeitig setzt sich Scholz für politische und wirtschaftliche Diversifizierung ein. Er investiert viel Zeit in die Beziehungen zu Japan als zentralem demokratischen Partner in Asien, ebenso zu Indien. Mitte des Monats reist der Kanzler nach Vietnam und Singapur. Scholz hat die Realitäten einer Welt mit vielen wichtigen Spielern in seiner Außenpolitik verinnerlicht und ist weit weniger allein auf China fokussiert als Angela Merkel. Gleichzeitig arbeitet das Kanzleramt durchaus mit Nachdruck gemeinsam mit dem Wirtschafts- und Klimaministerium an der Verringerung deutscher Abhängigkeiten von China bei Rohstoffen und industriellen Vor- und Zwischenprodukten. Scholz unterstützt dies mit Nachdruck, wie er im heutigen FAZ-Beitrag betonte.

Aber der Kanzler ist bislang allzu oft zu wenig konsequent und auch zu ängstlich in seinem chinapolitischen Umdenken. Man kann durchaus nachvollziehen, dass er angesichts der heraufziehenden Wirtschaftskrise keine weitere Front mit Peking eröffnen will, welche die deutsche Wirtschaft in weitere Turbulenzen stürzen würde. Aber daraus sollte Scholz nicht den Schluss ziehen, dass die Cosco-Beteiligung als Morgengabe mit nach Peking musste. Er hätte unaufgeregt kommunizieren können, dass Deutschland bei kritischer Infrastruktur besondere Vorsicht walten lässt, wie China es auch tut. Auch wäre gerade in Zeiten von Covid-Beschränkungen der Verzicht auf eine Wirtschaftsdelegation kein Zeichen gewesen, Deutschland habe kein Interesse mehr an Wirtschaftsbeziehungen mit China. Mit den Chefs von VW, BMW und BASF im Schlepptau nach Peking zu reisen, zeigt, dass Scholz das Klumpenrisiko China bei deutschen Großunternehmen noch nicht ernst genug nimmt. 

Im Endeffekt braucht Scholz ein Umdenken zu China, das genauso deutlich ausfallen muss wie seine Distanzierung von seinen Glaubenssätzen als Juso. Scholz verteidigte 1987 in seiner Sturm-und-Drang-Zeit die Erkenntnis, erst eine sozialistische Welt werde dauerhaft den Frieden garantieren können”. Von dieser Überzeugung ist beim Zeitenwende-Kanzler nichts mehr übrig. Genauso deutlich muss die Distanzierung von seinen früheren chinapolitischen Glaubenssätzen ausfallen. 

Scholz könnte bei seinem Besuch in Peking ein klares Zeichen in Richtung eines solchen Umdenkens setzen, indem er klare Worte mit Blick auf Xis Unterstützung für Putin, Taiwan, die Unterdrückung in Xinjiang, Tibet und Hongkong sowie die aggressiven Handlungen Pekings im Südchinesischen Meer findet. Xi habe ihn als guten Sozialdemokraten und wichtigen Ansprechpartner gelobt”, berichtete Scholz schmunzelnd Journalisten 2017 nach seinem bislang einzigen persönlichen Treffen mit dem Präsidenten. Dieses Mal sollte Scholz auf keinerlei Lob aus sein. Wohl aber auf darauf, dass der starke Mann in Peking Scholz als kraftvollen und selbstbewussten Vertreter deutscher und europäischer Kerninteressen wahrnimmt.


This commentary was originally published in ZEIT ONLINE on November 032022