Commentary

Verteidiger von Zwangsarbeit? Wie deutsche CEOs in der Chinapolitik kommunikative Eigentore schießen

Benner 2022 Verteider von Zwangsarbeit Siemens
Flags in front of Siemens Tower in Beijing, China.  | Photo: 颜邯, Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)
10 Jan 2022

Siemens defends slave labour (again)” titelte der britische Spectator“ letzte Woche. Die Entstehung dieser Schlagzeile ist ein Lehrstück darüber, was in der chinapolitischen Positionierung einiger CEOs der Deutschland AG danebengeht. Was war passiert? Siemens-Chef Roland Busch hatte zum Jahreswechsel der Süddeutschen Zeitung“ ein langes Interview gegeben, in dem er auch auf die neue Außenministerin Annalena Baerbock und deren Eintreten für eine deutlich härtere Gangart gegenüber China“ angesprochen wurde. Busch warnte in seiner Antwort vor einer konfrontativen Außenpolitik“ und mahnte einen respektvollen Umgang“ mit China an. Eine Sorge führte er sehr konkret aus: Wenn Exportverbote erlassen werden, könnten diese dazu führen, dass wir keine Solarzellen aus China mehr kaufen können – dann ist die Energiewende an dieser Stelle zu Ende. Wollen wir das wirklich? Es ist doch unser gemeinsames Interesse, den weltweiten CO2-Ausstoß zu verringern“. 

Von Xinjiang sprach Busch nicht direkt, doch worauf er abzielt, ist klar: Importverbote (Exportverbote würden von Peking ausgehen, was hier nicht gemeint sein kann) gegen in der chinesischen Provinz Xinjiang hergestellte Produkte aufgrund von Bedenken, dass dort Zwangsarbeit nicht ausgeschlossen werden kann. Im Dezember 2021 unterzeichnete US-Präsident Biden ein Gesetz, das Importe von Produkten, die in Xinjiang hergestellt wurden oder Komponenten und Materialien aus Xinjiang enthalten, verbietet. Ausnahmen werden nur gemacht, wenn der Importeur klare und überzeugende Beweise“ vorlegen kann, dass die Produkte nicht mit Zwangsarbeit hergestellt wurden. Die Europäische Kommission ist mit Blick auf die Einführung einer solchen Gesetzgebung in der EU skeptisch. Zwar hatte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen im September 2021 ein Gesetz gegen die Einfuhr von unter Zwangsarbeit hergestellten Produkten in Aussicht gestellt, das von Beobachtern als auf Xinjiang ausgerichtet interpretiert wurde. Doch im Dezember 2021 erklärte der für Handel zuständige Vizepräsident der Kommission Dombrovskis dann, dass man die US-Gesetzgebung nicht in Europa automatisch replizieren könnte“. Außerdem würde ein Importverbot ja nicht verhindern, dass diese Produkte weiter mit Zwangsarbeit hergestellt werden. Die EU-Kommission scheint jetzt ein Gesetz mit stärkeren Sorgfaltspflichten mit Blick auf Importgüter und Zwangsarbeit zu bevorzugen. 

In diese Diskussion platzte Siemens-CEO Busch mit seiner Philippika gegen Exportverbote“. Dabei hat Busch recht, was die Abhängigkeiten der Solarbranche von Xinjiang betrifft. Der Spiegel“ berichtete 2021 dazu: Rund 45 Prozent des sogenannten Polysillicons weltweit, eines Vorprodukts, das sich in fast jeder Solarzelle findet, stammt aus Xinjiang“. Doch für einen Konzern, der selbst eine Geschichte des Einsatzes von Zwangsarbeit hat (hierauf spielt das again“ – also wieder“ – in der Überschrift des Spectator an), ist diese Intervention bemerkenswert ungeschickt. Laut FAZarbeitet Siemens mit dem chinesischen Rüstungszulieferer China Electronics Technology Group Corporation (CETC) zusammen, der nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch eine Überwachungs-App entwickelt hat, mit deren Hilfe Uiguren von der Polizei verfolgt und eingesperrt würden“. Da hilft es eher wenig, dass Busch vorher im SZ-Interview mit Blick auf Menschenrechte versicherte: Wir halten diese weltweit ein, auch bei unseren Arbeitsplätzen in China“. Nun rechtfertigt Busch, anders als es der Spectator“ nahelegt, natürlich keine Zwangsarbeit. Insofern kann er sich mit Recht unfair behandelt fühlen. Es hätte viele geschickte Wege gegeben, Skepsis an Importverboten zu äußern. Mit der ungelenken Art seiner Aussagen hat Busch der Fehlinterpretation seiner Worte jedoch Tür und Tor geöffnet. Was bei seiner Aussage etwa fehlt, ist ein explizites Bekenntnis, Menschenrechte auch entlang der Lieferketten und bei Kooperationspartnern einzuhalten. Busch fällt auch hinter das zurück, was sein Vorgänger als Siemens-Chef und Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Joe Kaeser, kurz vor Ende seiner Amtszeit im September 2020 formulierte: Wir beobachten die aktuellen Entwicklungen in Hongkong, aber auch in der Provinz Xinjiang aufmerksam und mit Sorge. Wir lehnen jede Form von Unterdrückung, Zwangsarbeit und Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen kategorisch ab. All das würden wir grundsätzlich weder in unseren Betrieben dulden noch bei unseren Partnern folgenlos hinnehmen“. Für Kaeser, der jahrelang den chinesischen Parteistaat rhetorisch hofiert hatte, war dies eine bemerkenswert klare Formulierung. Busch, der zwischen 2005 und 2007 zwei Jahre in Schanghai lebte und daher über eigene China-Erfahrung verfügt, signalisiert nun, dass er an Kaesers Kritik nicht anknüpfen möchte. 

Stattdessen scheint er sich den Volkswagen-CEO Diess als Vorbild zu nehmen, also den Chef eines weiteren deutschen Weltkonzerns mit Zwangsarbeitsvergangenheit. Diess hatte 2019 der BBC gesagt, dass er von Umerziehungslagern nichts wisse und stolz“ sei auf die Arbeitsplätze, die Volkswagen in Xinjiang geschaffen habe. Dabei klang er wie der ehemalige Herausgeber der Zeit“ Theo Sommer, der 2019 behauptete, deutsche Unternehmen können und werden in dem schwierigen Umfeld Xinjiangs einen Beitrag zum ersprießlichen Zusammenleben verschiedener Völkerschaften leisten“. Dann, so Sommer, werden – wie einst die südafrikanischen Schwarzen von BMW – eines Tages auch die Uiguren sagen können, wer zu den Mitarbeitern der deutschen Firmen gehört, der hat das große Los gezogen“. 

Ganz so vehement wie Sommer würden wahrscheinlich nur wenige deutsche CEOs öffentlich argumentieren. Aber allzu oft wirken sie so, als hätten sie selbst das große Los eines Kotaus gegenüber der chinesischen Führung gezogen. Robin Alexander berichtet in seinem Buch Machtverfall“ über die deutschen CEOs, die Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihrer letzten Chinareise im September 2019 begleiteten: Die Bosse haben auf die Kanzlerin eingewirkt, die chinesische Regierung nicht mit einer allzu deutlichen Kritik an der Aussetzung des Basic Law der ehemaligen britischen Kronkolonie Hong Kong und den Repressionen gegen die dortige Demokratiebewegung zu brüskieren“. Und weiter: Noch auf dem Hinflug berieten die Manager, ob sie ihrerseits die Chinesen auf die engere Überwachung der Internetaktivitäten der chinesischen Belegschaften von Firmen mit deutscher Beteiligung ansprechen sollen – denn die gefährdet nicht nur die letzten Reste von Meinungsfreiheit, sondern auch deutsche Geschäftsgeheimnisse. Per Handzeichen im Kanzlerflugzeug stimmten die CEOs schließlich spontan ab, ob sie ihre Kritik daran hohen KP-Führern vortragen wollen – und entschieden sich dagegen“. Erschreckend daran ist, dass die Unternehmensführer auch dann gegenüber Peking zu kuschen scheinen, wenn ihre Kerninteressen tangiert sind. 

Bei der Suche nach mehr strategischer Klarheit kombiniert mit Rückgrat könnten die deutschen CEOs beim BDI fündig werden. Dieser hat im letzten Sommer ein Diskussionspapier über Außenwirtschaftliche Zusammenarbeit mit Autokratien“ zur Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen im internationalen Systemwettbewerb“ veröffentlicht und dabei den Begriff der verantwortungsvollen Koexistenz“ geprägt. Mehr strategische Klarheit in der Chinapolitik ist auf Seiten von CEOs wie Busch dringend vonnöten, denn die vom Spectator“verzerrte menschenrechtliche Komponente ist nicht das größte Problem an seinem SZ-Interview. Ebenfalls beunruhigend ist, dass Busch die Klimakrise zu instrumentalisieren scheint für einen Kurs des business as usual“ gegenüber Peking. Und noch konsternierender ist die Tatsache, dass Busch, angesprochen auf Baerbocks härtere Gangart gegenüber Peking“, die Thematik rein auf die Frage der Menschenrechte reduziert – wahrscheinlich in der Hoffnung, die Außenministerin damit in die Gutmenschentum-Ecke zu stellen. Dabei geht es in der Selbstbehauptung von Demokratie und sozialer Marktwirtschaft im Systemwettbewerb mit Pekings autoritärem Staatskapitalismus um weit mehr. Wie Busch selbst im Interview sagt: Es gibt keine politische Souveränität ohne technologische Souveränität“. Zwangsarbeit ist nicht unser einziges Problem, wenn wir uns bei Kerntechnologien für die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft von der Produktion in China abhängig machen oder wenn sich Unternehmen wie Volkswagen ein Klumpenrisiko China aufhalsen, indem sie sich über Gebühr vom chinesischen Markt abhängig machen. 

Zudem werden Menschenrechte in Zukunft sicherlich nicht das größte Problem für Siemens im Chinageschäft des Unternehmens sein. Im Jahr 2020 unterzeichnete Siemens eine weitreichende strategische Kooperationsvereinbarung“ mit der schon erwähnten CETC, unter anderem in den Bereichen digital enterprise and intelligent manufacturing, electronics and semiconductor equipment, Industrial Internet platform and industrial information security”. Das Staatsunternehmen CETC ist für das chinesische Militär als Zulieferer von zentraler Bedeutung. Tochterunternehmen von CETC unterliegen bereits US-Sanktionen. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die USA auch die Siemens-Kooperation mit CETC genauer ansehen werden.


An abridged version of this commentary was published by Table Media on January 112022.